RONDINONE, UGO
* 30.11.1962 SCHWYZ
Konzept-, Medien- und Installationskünstler.
Ugo Rondinone wächst in Brunnen auf. Nach dem Lehrerseminar in Schwyz besucht er von 1985 bis 1990 die Meisterklasse von Ernst Caramelle an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Seit 1990 lebt er in Zürich, seit Ende der 1990er-Jahre auch in New York. Für sein Schaffen wird er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1991, 1994 und 1995 dem Eidgenössischen Preis für freie Kunst; 1998 erhält er das Künstleratelier im P.S.1 in New York zugesprochen.
Seit 1985 nimmt Rondinone an internationalen Ausstellungen in öffentlichen Institutionen und Galerien teil. Einzelausstellungen (Auswahl): 1990–91 Kunstmuseum Luzern; 1995 Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris; 1996 Centre d’art contemporain, Genf, und Migros Museum, Zürich (Heyday); 1997 Consortium, Dijon; 1999 Kunsthaus Glarus (Guided by voices); 2000 Kunstmuseum Aarhus (Dänemark); 2001 Herzliya Museum of Contemporary Art (Israel); 2002 Kunsthalle Wien; 2003 Museum of Contemporary Art, Sydney, sowie Centre Pompidou in Paris und in La Criée centre d’art contemporain, Rennes; 2004 Sprengel Museum Hannover sowie 2006 Whitechapel Art Gallery in London. 2010–11 zeigt das Aargauer Kunsthaus Aarau die grosse Einzelausstellung Die Nacht aus Blei (zuvor im Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León in León) – die erste Einzelpräsentation des Künstlers in der Schweiz nach über zehn Jahren.
1996 vertritt Ugo Rondinone die Eidgenossenschaft auf der Biennale von São Paulo, 2007 bespielte er zusammen mit Urs Fischer die Chiesa San Stae an der 51. Biennale di Venezia. Ebenfalls 2007 realisiert Ugo Rondinone für die Wohnsiedlung Werdwies in Zürich die Platzgestaltung Hier, bestehend aus einer dreistufigen Sitztreppe, einem Wasserbecken und einer auf einen Sockel platzierten Skulptur. Seit den frühen 1990er-Jahren gehört die Auseinandersetzung mit räumlichen Aspekten zu den zentralen Themen im Werk von Ugo Rondinone, die über Fragen der Zeit zu dominieren beginnen. Seine Werke drehen sich nicht um Handlungen und Erzählungen, sondern um Nicht-Handlungen. Statt Prozesse und Entwicklungen zeigt seine Kunst Zustände und Atmosphären. Die optischen Effekte, die er in Form von monumental vergrösserten Landschaften oder mit konzentrisch auf Leinwand gesprühten Farbringen präsentiert, sind vordergründig und leicht durchschaubar.
Die diversen Rollen, in welchen sich Rondinone in seinen Fotografien und Videos darstellt, sind nicht Potenziale für neue Entwürfe der eigenen Identität, sondern Embleme für Beziehungslosigkeit. Stets neu drängt sich die Figur des künstlerischen Autors in Rondinones Werk als Spielverderber ins Bild und produziert Kurzschlüsse innerhalb des etablierten Kreislaufs des Systems Kunst. Sei es durch elektronische Montage des eigenen Porträts auf die Torsi weiblicher Models (I don’t live here anymore, 2000), sei es als negativer Held in halb fiktiven Tagebüchern und Comics oder als Chronist und Archivar von schier endlosen Dokumentationen der alltäglichen Umgebung (Days between stations, 1993–96). Die Beat-Kultur der späten 1950er-Jahre dient ihm dabei als historische Referenz und formaler Fundus.
Am prägnantesten kommt dieses Vorgehen in der Figur des müden Clowns zum Ausdruck (Dog days are over, 1996, Migros Museum, Zürich). Als Alter ego des künstlerischen Autors verkörpert der Clown jene Funktion, die sich im Befriedigen der unersättlichen Neugier des Publikums erschöpft hat. Indem der Unterhalter diejenige Position besetzt, die die Betrachtenden für sich in Anspruch zu nehmen gewohnt sind, indem er keine Anstalten macht, etwas anzubieten, sondern lediglich bequem liegen möchte, durchbricht er den vertrauten Zusammenhang künstlerischer Produktion und Rezeption. Wie ein Spielzeug, das die Benutzerinnen und Benutzer durch rücksichtslose Ausbeutung unbrauchbar gemacht haben, steht er unvermittelt im Weg. Auf diese Weise führt er den Betrachtenden – nicht ohne eine gewisse diabolische Freude – einerseits den Verschleiss des Kunstbetriebs und andererseits die aus den Fugen geratene Rollenverteilung im gegenwärtigen Alltag vor Augen.
Die Abwesenheit von Handlung und Erzählung findet ihre Entsprechung in den Installationen, deren räumliche Wirkung von Tönen und Geräuschen untermalt ist. Der Effekt dieser Installationen ist stets einer der Künstlichkeit und der hermetischen Abgeschlossenheit (Guided by voices, 1999, Kunsthaus Glarus). Das «Aussen» ist getilgt und dient nicht mehr als Referenzsystem. Strukturell funktionieren die Installationen redundant, wie ein Loop, ohne Ein- oder Ausgang, Anfang und Ende. Diese Haltung prägt auch die Installation in der Kirche San Stae in Venedig, die Ugo Rondinone 2007 (zusammen mit Urs Fischer) bespielt: In den historischen Innenraum der Barockkirche am Canale Grande bauen sie einen geschlossenen «White Cube», einen neutralen Kunstraum, ein, in dem Rondinone drei in Aluminium gegossene, weiss bemalte Olivenbäume präsentiert. Auch in seiner Ausstellung Die Nacht aus Blei im Aargauer Kunsthaus Aarau (2010–11) lässt er die grossflächigen Fensterflächen mit einer weissen Backsteinstruktur bemalen. In den asketisch schwarz-weiss gestalteten Räumen entfaltet Rondinones limitiertes Motivrepertoire – Baum, Glühbirne, Maske, Spiegel, Clown, Tür, Fenster – eine geheimnisvolle und gleichwohl distanzierte Atmosphäre, in der hin und wieder eine Prise Schalk aufscheint.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Philip Ursprung, 2006, aktualisiert 2012 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4005902
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