MÜLLER, ALBERT
* 29.11.1897 BASEL, † 14.12.1926 OBINO
Maler, Glasmaler, Bildhauer, Zeichner und Druckgrafiker.
Albert Müller absolviert im Atelier für Glasmalerei und kunstgewerbliche Entwürfe Eichin Straub in Basel eine Lehre als Glasmaler und besucht vom Frühjahr 1913 bis zum Winter 1917/18 die Allgemeine Gewerbeschule Basel (Arnold Fiechter, Georg Albrecht Mayer, Burkhard Mangold). Im Sommer 1918 weilt er bei Cuno Amiet auf der Oschwand. An der Weihnachtsausstellung von 1919 in der Kunsthalle Basel macht Müller erstmals auf sich aufmerksam.
Er beteiligt sich fortan an Wettbewerben des Staatlichen Kunstkredits Basel-Stadt: 1920 erster Preis für seinen Vorschlag für die Ausmalung der Brunnennische am Spalenberg (Ausführung Numa Donzé), 1921 dritter Rang für seinen Wandbildentwurf Ceres für den Gemeindesaal Riehen und 1923–24 ebenfalls dritter Rang für den Wandbildentwurf für den Strafgerichtssaal Basel.Mehr Erfolg hat er beim Wettbewerb für ein grosses Glasfenster im Treppenhaus der Allgemeinen Gewerbeschule Basel, den er für sich entscheidet. Ausführung im Herbst 1924. 1920 Italienaufenthalt und Zusammenarbeit mit Niklaus Stoecklin in San Gimignano.
Im Februar 1921 Übersiedlung nach Coldrerio (TI), Ende 1922 nach Ligornetto, wo er sich mit dem Bildhauer Carl Burckhardt befreundet, zu dessen Bronzeplastik Der Tänzer Müller Modell steht. Am 10. April 1922 Heirat mit Anna Hübscher. Begegnung mit Louis Moilliet. 1923 Geburt der Zwillinge Judith und Kaspar. Im November Umzug nach Obino bei Castel San Pietro.
Die Ausstellung mit Werken Ernst Ludwig Kirchners vom Juni 1923 in der Kunsthalle Basel beeindruckt Müller, Hermann Scherer und andere junge Basler Künstler zutiefst. Müller lernt Kirchner persönlich kennen. Anfang April 1924 besucht er Kirchner auf dem Wildboden in Frauenkirch bei Davos zum ersten Mal. In der Folge setzt ein reger Briefwechsel zwischen den beiden ein, und eine aussergewöhnliche Künstlerfreundschaft beginnt. Mit der fast lebensgrossen Skulptur Die Freunde (1924) bringt Kirchner die enge Freundschaft zwischen Scherer und Müller sinnfällig zur Darstellung und setzt seinen damals wichtigsten Künstlerkollegen ein grossartiges Denkmal.
In der Silvesternacht 1924 gründen Müller, Scherer und Paul Camenisch die Künstlergruppe Rot-Blau. Als vierter stösst wenig später Werner Neuhaus dazu. Die Gruppe richtet sich gegen die in Basel etablierte ältere Generation der «Dunkeltonigen» und erhofft sich bessere Ausstellungsmöglichkeiten sowie Aufträge des Staatlichen Kunstkredits Basel. Im Frühjahr 1925 weilt Müller zum zweiten Mal bei Kirchner in Frauenkirch. Noch während der ersten Ausstellung der Vereinigung Rot-Blau in der Kunsthalle Basel entschliesst sich Müller, darin unterstützt von Kirchner, zum Austritt aus der Gruppe, da er sich von Scherer benachteiligt fühlt. Die zehnjährige Freundschaft mit Scherer zerbricht. Den ganzen Sommer und Frühherbst 1925 verbringt er mit seiner Familie in Frauenkirch bei Kirchner. Die beiden Künstler arbeiten intensiv, malen und zeichnen die Landschaft sowie Akte und schnitzen Skulpturen.
Zum Dank für die Gastfreundschaft schenkt Müller seinem Mentor das Gemälde Blick vom Kirchnerhaus ins Sertigtal (1925). Mitte April 1926 folgt ein weiterer Aufenthalt bei Kirchner. Anfang Juni reist er mit Kirchner nach Dresden zur Internationalen Kunstausstellung. Ende November erkrankt Müller an Typhus. Er stirbt 29-jährig in seinem Haus in Obino (wenig später erliegt auch seine Frau der Krankheit). Kirchner richtet im Herbst 1927 in der Kunsthalle Basel die Gedächtnisausstellung ein, schafft für das Plakat einen Holzschnitt mit dem Bildnis seines Freundes und schreibt für den Katalog einen kurzen Text. Die ersten Bildnisse und Landschaften aus der Umgebung von Basel orientieren sich an der Malerei der älteren Generation der «Dunkeltonigen». Bei Amiet überwindet Müller den traditionellen Stil und setzt die leuchtende Farbe in grossen, stark konturierten Kompartimenten ein. Die Binnenflächen werden im Sinne Cézannes facettiert oder mit Farbflecken in der Art der Fauves belebt.
Wieder in Basel, macht sich der Einfluss von Paul Basilius Barth mit farblich abgestuften Flächen, die sich puzzleartig verzahnen, bemerkbar. Eine heiter leuchtende, differenzierte Farbigkeit, die Verfestigung der Form und eine rhythmische Auflockerung der grossen Flächen bestimmen die Malerei. Die Aquarelle und Bilder der Jahre 1921 und 1922, vornehmlich Landschaften, Porträts oder Paare im Freien, sind durch die Kunst Louis Moilliets geprägt: Mit ihrer klaren Bildarchitektur, einer geometrischen Rhythmisierung der Fläche und der Staffelung in verschiedene, durch die Farbgebung räumlich geschiedene Schichten weisen die Arbeiten jedoch über das Vorbild hinaus. Die Auseinandersetzung mit Edvard Munch, dessen Werk im Oktober 1922 in der Basler Kunsthalle vorgestellt wird, bestimmt das Jahr 1923. Müllers Malerei wird nun von einem spontan fliessenden Pinselduktus dominiert, bei dem sich die Farbtöne gegenseitig durchdringen und verflechten.
Das Erlebnis von Kirchners Kunst, die auf Müller wie eine Offenbarung wirkt, führt vorerst zu einer starken, expressiven Farbigkeit, die sich in exakt definierten Bahnen ergeht. Die Formen sind hart, fast gewaltsam, und die Dargestellten werden vom beengenden Umfeld richtiggehend gefangengenommen und unverrückbar festgehalten. Die Gemälde weisen entweder eine durchgehende Flächenhaftigkeit oder eine linearperspektivisch rasante, sogartige Raumerschliessung auf. Als Bildthemen bevorzugt Müller die Landschaft sowie die Figur als Selbstbildnis, als Porträt von Freunden und Bekannten, als Familienbild oder als Akt in freier Natur und im Interieur. Eine der grossen, über Kirchners Anregungen hinausführenden Leistungen Müllers besteht in der Verflechtung der Farben zu einem vibrierenden Gewebe, wie es sich vor allem in den Landschaftsbildern des Jahres 1925 manifestiert.
Die Rückkehr aus Frauenkirch ins Mendrisiotto bildet den Auftakt zu einer künstlerischen Befreiung, die auf die Zeit der engen Zusammenarbeit mit Kirchner folgt. Eine zunehmende Lockerung des Bildgefüges sowie eine heitere Farbigkeit gewinnen an Bedeutung. Die Bilder vom Sommer und Herbst 1926 sind durch eine geradezu barocke Lebensbejahung und einen sprühenden Optimismus charakterisiert. Zusammen mit Hermann Scherer leistet Müller mit seinen Gemälden, Skulpturen, Aquarellen, Zeichnungen und druckgrafischen Blättern einen zwar späten, aber eindrucksvollen Beitrag zum Schweizer Expressionismus.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Beat Stutzer, 1998, aktualisiert 2011 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023402
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