LÜTHY, OSKAR
* 26.6.1882 BERN, † 1.10.1945 ZÜRICH
Maler und Zeichner.
Oscar Lüthy liess sich an der Kunstgewerbeschule Bern zum Architekten ausbilden, übte den Beruf aber nur kurze Zeit aus. 1903–1907 lebte er, zeitweise mit Hans Beat Wieland, in den Walliser Bergen. Dort unternahm er seine ersten Malversuche und fand Zugang zur Freiluftmalerei. Diese Anfänge wurden durch ein zehnmonatiges Studium bei Hans Lietzmann in München ergänzt. Anschliessend Aufenthalte in Luzern und Weggis, wo er Kontakte zu modernen Künstlern knüpfte und mit Otto Meyer-Amden und seinem Kreis Freundschaft schloss. 1910 gründete er mit Jean Arp und Walter Helbig in Weggis den avantgardistischen Modernen Bund.
1912 beteiligte er sich an der programmatischen Ausstellung dieser Vereinigung im Zürcher Kunsthaus. Lüthy engagierte sich 1918–1919 auch in der Künstlergruppe Das neue Leben und verbrachte die Wintermonate jeweils in Paris, wo er sich mit der französischen Moderne beschäftigte. Bevor er sich permanent in der Umgebung von Zürich niederliess, brachte eine Studienreise durch Italien die wegweisende Begegnung mit dem Werk von Giotto. In Zürich pflegte er Kontakt zu den Dadaisten, unterschrieb sogar deren Manifest von 1920 in Berlin. Lüthy stellte nicht häufig aus, erhielt aber zahlreiche Aufträge von privater Seite und von kirchlichen Institutionen, beispielsweise für das Altarbild der Christuskirche in Oerlikon, 1941–1943.
Im Wallis wendet sich Lüthy nach den ersten Malversuchen dem Vorbild Giovanni Segantini zu, dessen Werk er durch Reproduktionen kennt. Geprägt von Segantinis Auffassung des Lichts als eines symbolhaften Gegenstandes der Verklärung, malt er in divisionistischer Weise kleine Berglandschaften. In Paris setzt sich Lüthy formal mit Cézanne und dem Kubismus von Picasso und Braque auseinander. Sein erstes Hauptwerk, die Variation zur Pietà von Avignon (1913, Kunstmuseum Bern), verarbeitet diese neuen Impulse und verdeutlicht die Richtung, die Lüthy einschlägt.
Anstatt von konkreten Objekten auszugehen, wählt er ein Gemälde von Quarton (um 1450) im Louvre und setzt das Bild mit formalen Mitteln des Kubismus um. Lüthys Kubismus bleibt jedoch oberflächlich; wichtig ist ihm vielmehr sein «seelisches Erleben» vor dem Bild. Lüthys Hang zum Mythischen wird durch die Begegnung mit der Theosophie intensiviert, die ab 1914 auch seine Arbeit beeinflusst. Im gleichen Jahr studiert er auf einer Italienreise Giotto, Leonardo und andere Maler, durch die er sich in der Wahl religiöser Bildthemen bestätigt sieht. Ein Höhepunkt bildet das Triptychon (1925, Kunstmuseum St. Gallen) mit der Anbetung auf der Mitteltafel – eine Mischung von Erlösungsglaube, romantischer Versonnenheit, Anklängen an den französischen Symbolismus und modernen Stilelementen. Die Beschäftigung mit dem Surrealismus kommt vor allem im Wachtraumzyklus von 1928 zum Ausdruck. Ab 1930 konzentriert er sich wieder auf mystifizierende Inszenierungen von Heiligen, Mädchen und Blumen in heller Farbigkeit und geometrischer Stilisierung. Zur Zeit des Modernen Bundes gilt Lüthy als grosses Talent der Schweizer Moderne, doch beschränkt sich seine Wahl moderner Gestaltungsmittel auf stilistische Anleihen; im Grunde bleibt er der künstlerischen Tradition und einem religiösen Empfinden verpflichtet.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Anita Haldemann, 1998, aktualisiert 2014 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023394
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