GIRARDET, KARL
* 7.5.1813 LE LOCLE, † 24.4.1871 PARIS
Landschaftsmaler.
Nach seiner Kindheit im Kanton Neuenburg entdeckte Karl Girardet, der älteste Sohn des Kupferstechers und Lithografen Charles-Samuel Girardet, ab 1822 das Leben in Paris. Sehr früh brachte ihn seine Lust am Beobachten dazu, ganze Hefte mit lebendigen Skizzen von Strassenszenen zu füllen. Er wurde Schüler des Malers Louis Hersent und danach von Léon Cogniet, der sich zu einem Gönner und treuen Freund entwickelte. Bei Studienaufenthalten in der Schweiz zwischen 1833 und 1835 schloss er Bekanntschaft mit dem Maler und Aristokraten Maximilien de Meuron, dem Wohltäter von Léopold Robert, der ihm das Malen von Figuren in seinem Gemälde Le camp de Valangin (1834) anvertraute.
Dank seiner Vermittlung erhielt er auch den Auftrag für zwei Ansichten von Neuenburg, darunter der Place des Halles (1835). 1836 war Girardet erstmals am Pariser Salon vertreten und begann, als Kopist für das Königshaus zu arbeiten. 1837 wurde er am Salon für seine Alpenlandschaft Vue prise au sommet du Righi ausgezeichnet und nahm in Zusammenarbeit mit Léon Cogniet die Arbeit an zwei grossen Gemälden für die Schlachtengalerie im Schloss Versailles auf: Victoire de Hoche à Diersdorf sur Werneck und Bataille d’Héliopolis. Angespornt durch seine Erfolge unternahm er zahlreiche Reisen und füllte mehrere Hefte mit Skizzen. 1838 besuchte er Venedig, das Elsass und Düsseldorf, 1839 das Tirol, Illyrien und Kroatien und ein Jahr später Neapel, Capri und Rom.
1839 debütierte Girardet als Illustrator von Büchern und bebilderte eine Ausgabe von Roland furieux von Ariost, 1842 gefolgt von Jardin des Plantes von Pierre Boitard. Sein Gemälde Assemblée de Protestants surprise par des troupes catholiques – ein Auftrag des Kantons Neuenburg, den er dank Meuron erhalten hatte – brachte ihm eine weitere Auszeichnung am Pariser Salon von 1842 ein und führte zu regelmässigen Ankäufen der Société des Amis des arts der Stadt Neuenburg. Für die Schlachtengalerie im Schloss Versailles, von der er den Auftrag für eine Kreuzzug-Szene erhalten hatte, schuf er Gaucher de Châtillon défend seul l’entrée d’une rue du faubourg de Minieh (1844). 1842 hielt er sich auf Kosten des Königs zusammen mit seinem Bruder Edouard während sechs Monaten in Ägypten auf.
Nach seiner Rückkehr widmete sich Girardet erneut seinen grafischen Arbeiten, übertrug fast alle Voyages en zigzag von Rodolphe Töpffer (1844) auf Holz, lieferte von Anfang an Beiträge an die Zeitschrift L’Illustration und bebilderte das berühmte Werk von Louis Adolphe Thiers Histoire du Consulat et de l’Empire. Ebenso malte er eine neue Version von Protestants (1845): ein Auftrag des Königs von Preussen, den Meuron ihm verschafft hatte. Mehrere andere königliche Aufträge folgten. So reiste Girardet namentlich in die Normandie, wo er das offizielle Déjeuner offert par Louis-Philippe à Victoria sous la futaie d’Eu (1844, Nationalmuseum von Versailles) malte, und schuf etliche eher exotische Bilder: Louis-Philippe assiste à une danse d’Indiens Ioways (Galerie de la Paix im Palais des Tuileries) oder auch La réception de l’ambassade marocaine (1846). Um die historische Zeremonie der Double mariage d’Isabelle II d’Aragon et de sa sœur Marie-Louise-Fernande de Bourbon (1848) festzuhalten, begleitete er Antoine d’Orléans, Herzog von Montpensier und Sohn des Bürgerkönigs Louis-Philippe, nach Madrid.
Als Mitglied der Nationalgarde musste Girardet im Juli 1848 machtlos den Sturz der Monarchie miterleben. Hilflos und überrascht plante er zunächst, gemeinsam mit Albert de Meuron nach Ägypten zurückzukehren, floh dann aber zu seinem Bruder Edouard nach Brienz in der Schweiz, wo er sich der Landschaftsmalerei widmete. Lange blieb er den Märkten, den Pariser Verlegern und dem Salon aber nicht fern, an dem Staatspräsident Napoleon 1850 das Gemälde Bords du lac de Brienz erwarb. 1852 beauftragte der Verleger Alfred Mame ihn zusammen mit dem Maler François-Louis Français einem ambitiösen Projekt für ein bibliophiles Werk: La Touraine, histoire et monuments. In der Folge verbrachte Girardet zwei Sommer in dieser Provinz, um die dortigen Landschaften zu zeichnen. Das Werk brachte ihm schliesslich die Medaille 1. Klasse an der Weltausstellung von 1855 ein.
Dieser Erfolg sicherte ihm zahlreiche weitere Aufträge des gleichen Verlegers, im Wesentlichen für Kinderbücher wie etwa Le Robinson suisse (1853), Pilote Willis (1855) oder auch Fables von La Fontaine (1863). Dazu kamen Werke, die der katholischen Frömmigkeit gewidmet waren, darunter Les plus belles églises du monde (1858) oder La Terre-Sainte (1860). 1857 zog der Künstler aus seinem Atelier in der Nähe des Louvre aus, das abgerissen werden sollte, und liess sich am Fuss des Montmartre nieder, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Im gleichen Jahr wurde Karl Girardet zum Mitglied der königlichen Akademie in Amsterdam ernannt.
Zu seinen zahlreichen Landschaftsstudien gehören jene, die zwischen 1858 und 1860 im Wallis und in den beiden folgenden Jahren in Norditalien entstanden sind, ebenso wie die Werke, die er 1866–67 bei seinen Besuchen bei den Brüdern Varin in Aisne und während seines letzten Aufenthalts in Brunnen im Jahr 1869 malte. 1870 wurde Girardet vom Einfall der Preussen in Frankreich überrascht und sass während der Belagerung von Paris in der Stadt fest. Während dieser Zeit versteifte er sich darauf, die feindlichen Positionen zu zeichnen, und bemerkte dabei, dass seine Sehkraft zunehmend schwand. Gepackt von der Angst, das Augenlicht gänzlich zu verlieren, starb er schliesslich erschöpft und alleine in seinem Pariser Atelier. Ein Jahr nach seinem Tod brachte der Verkauf dieses Ateliers an das Hôtel Drouot einen Ertrag von rund 100 000 Francs ein, der an seine Familie ging.
Zwar hatte er nie geheiratet, aber er lebte viele Jahre mit der Malerin Augustine Angelina Kaas zusammen, die wie er mit dem Kaufmann Adolphe Goupil verbunden war und der er eine Pension sicherte. Als Vertreter einer romantischen Schule und der populären «Ecole de 1830» zeichnete sich Karl Girardet durch eine grosse kreative Freude und schöpferische Kraft aus. Er, der aus bescheidenen Verhältnisse stammte, sah sich sehr früh gezwungen, seine künstlerische Begabung zu Geld zu machen, und da er nicht genug Zeit hatte, seine Kunst zu vertiefen, wurde sein Talent manchmal auch vergeudet. In seinen Landschaftsbildern malte er jedoch auf eine meisterliche Weise, die ihresgleichen sucht, äusserst lebendige Szenen. Dabei arbeitete er ausgehend von vor Ort erstellten Ölskizzen, die verbunden waren mit den besonderen Kontexten, die der Künstler hervorragend beschrieb. So spiegeln sich in seinen Gemälden beispielsweise die subtilsten Farbtöne der Jahreszeiten wider.
Vor allem gegen 1850 entfaltete Girardet bei seinen Aufenthalten in Brienz sein ganzes Talent als Landschaftsmaler, beschäftigte sich unermüdlich mit den gleichen Sujets, trotzte Kälte und schlechtem Wetter, um wie etwa in Le lac de Brienz, effet de brouillard die Wirkungen des Lichts zu erfassen. Seine Skizzen, die er zuweilen ohne Zögern in nur einer Stunde zeichnete, drücken seine Unruhe in jener schmerzlichen Zeit aus, in der er ohne sicheres Einkommen war. Obwohl er das Werk von Maximilien de Meuron und Rodolphe Töpffer sehr genau kannte, haben ihn die alpine Poesie und die Bilder von verschneiten Berggipfeln kaum beeinflusst. Seine Welt war eher jene der fliessenden Elemente, der Flüsse und Sümpfe, und seine bevorzugten Motive die Aare, die Eure und die Marne.
Seine Mitarbeit am Werk La Touraine hatte zudem seine religiöse Neugier geweckt. Im Laufe seiner vielen Reisen verfasste er kleinere ethnografische Reportagen für die illustrierte Presse, sei dies Le magasin pittoresque oder auch Le tour du monde, die ebenso wie seine Beiträge an aufwendige und luxuriös gestaltete Bücher seine bildnerische Fantasie anregten. In seinem Bestreben nach offizieller Anerkennung stürzte sich Girardet sehr früh in die Historienmalerei, in erster Linie in Zusammenarbeit mit Léon Cogniet. Sein Werk Assemblée de Protestants surprise par des troupes catholiques (1842) brachte ihm seinen grössten Erfolg ein. Dieses Werk, das er 1839 begonnen hatte und für das er mehrere Jahre brauchte, ist inspiriert durch Huguenots, die äusserst populäre Oper von Giacomo Meyerbeer aus dem Jahr 1836. Das Gemälde, das mit seiner pathetischen Note und der gekonnten Komposition die historischen Szenen von Paul Delaroche in Erinnerung ruft, wurde dank Druckgrafiken im vergangenen Jahrhundert in Künstlerkreisen weit verbreitet.
In einer Zeit, in der Girardet aufgrund der politischen Ereignisse keine Aufträge aus dem Königshaus erhielt, hatte er auch kaum Erfolg mit seinen Historiengemälden, insbesondere nicht mit Lady Elizabeth Claypole, fille de Cromwell, reproche à son père d’avoir fait assassiner Charles 1er(1852). Deshalb widmete er sich nach einem letzten öffentlichen Auftrag, La bataille de Morat (1856), im Wesentlichen intimen Landschaftsschilderungen, die er bis an sein Lebensende im Salon ausstellte. Gegen 1855 wandte er sich auch von den orientalistischen Themen ab, die ebenfalls zu seinem Erfolg beigetragen hatten.
In der späten Periode seines künstlerischen Schaffens tendierte Girardet ausserdem dazu, jene Motive, die in der Öffentlichkeit Gefallen gefunden hatten, wieder aufzunehmen. Ganz nach dem Geschmack der bürgerlichen Kundschaft der damaligen Zeit wählte er dabei Themen und Formate, die am meisten angesagt waren. «Il n’y a plus de marchandise dans la boutique», schrieb er eines Tages, um sich selbst zum Malen von neuen Werken anzuspornen, die von ihm verlangt wurden. 1870 verwendete Auguste Bachelin, sein erster Biograf, einen Ausdruck, der Girardets Karriere und Werk sehr treffend zusammenfasst: «Frei von Mängeln». Deshalb war sein Erfolg – jenseits aller unvermeidlichen Rivalitäten und Eifersüchteleien – vor allem ein Vorbild für andere Westschweizer Künstlerinnen und Künstler, die in ihm einen Meister erkannten. Auf internationaler Ebene ist es Karl Girardet gelungen, bei einem breiten Publikum zum Ansehen der Schweiz beizutragen.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Sylvain Bauhofer, 1998, aktualisiert 2015 Übersetzung: Irene Bisang https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4022905
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