MORGENTHALER, ERNST
* 11.12.1887 Kleindietwil, † 7.9.1962 Zürich
Zeichner, Maler und Grafiker.
Ernst Morgenthaler wurde stark durch die traditionell-bäuerliche Welt, aus der seine Mutter stammte, geprägt. Nach der Wahl seines Vaters, des Bahningenieurs Niklaus Morgenthaler, in den Regierungsrat zog die Familie 1897 nach Bern. Morgenthaler besuchte das Gymnasium in Bern und nach der Matura die Seidenwebschule Zürich. Anschliessend kaufmännischer Angestellter in der Seidenfabrik Schwarzenbach in Thalwil. Unglücklich über diese Tätigkeit, widmete er sich nach der Arbeit dem Musizieren und vor allem dem Zeichnen. Es entstanden skurrile Zeichnungen und Karikaturen, die bald auch im Nebelspalter erschienen.
Zeichenkurse 1912 bei Eduard Stiefel an der Kunstgewerbeschule Zürich und 1913 bei Fritz Burger in Berlin befriedigten ihn nicht. Er war bereits 27-jährig, als er durch Vermittlung eines Onkels zu Cuno Amiet auf die Oschwand kam, wo er sich in eineinhalb Jahren die Technik der Ölmalerei aneignete. Auf der Oschwand traf er die Berner Künstlerin Sasha von Sinner, die er 1916 heiratete. Sie unterstützte ihn massgeblich in allen seinen Tätigkeiten, gab die Malerei auf und verlegte sich auf die Herstellung von Stofftieren und Puppen (Sasha-Puppen).
Anfang Dezember 1915 besuchte Morgenthaler die private Malschule von Heinrich Knirr in München und traf regelmässig den befreundeten Paul Klee, der ihm «eine Fülle von Anregungen» vermittelte. Im Juli 1916 zog er für kurze Zeit wieder auf die Oschwand und liess sich dann in Genf, in Hellsau und schliesslich in Oberhofen am Thunersee nieder, um 1920 nach Wollishofen bei Zürich und 1923 nach Küsnacht umzuziehen. Zwei Söhne, Niklaus und Fritz, kamen 1918 und 1919 zur Welt, die Tochter Barbara 1924. Um 1920 stellten sich erste Erfolge ein; zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen. Anfang 1928 reiste er mit Sasha für mehrere Monate nach Marokko.
Im Dezember 1928 zog die Familie Morgenthaler nach Meudon bei Paris. Das Erlebnis der Grossstadt und die vielen kulturellen Möglichkeiten konnte Morgenthaler für seine Arbeit fruchtbar machen, doch musste er aus finanziellen Gründen immer öfter Porträtaufträge in der Schweiz annehmen. Im Oktober 1931 Umzug nach Zürich-Höngg. Der Pariser Aufenthalt, aber auch Reisen nach Marokko, Algerien, Tunesien, Südfrankreich und Italien erweiterten Morgenthalers Horizont und die Aussagekraft seiner Bilder. Es entstand ein umfangreiches Werk von Ölbildern, Wandmalereien, Aquarellen und Zeichnungen. Intensive Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland; grosse Einzelausstellungen im Kunsthaus Zürich (1938), im Kunstmuseum Solothurn und in der Kunsthalle Bern (1945), in der Kunsthalle Basel (1948, 1962), im Kunstmuseum St. Gallen (1950), im Muraltengut Zürich (1952), in der Kunstsammlung Thun (1953), im Kunsthaus Glarus und in der Kunsthalle Bern (1957) und im Kunsthaus Zürich (1960–1961). Zahlreiche weitere Einzelausstellungen, unter anderen 1980 im Aargauer Kunsthaus Aarau, 1987 in Steffisburg und 1994 im Kunstmuseum Solothurn. Morgenthaler nahm am kulturellen Leben in Zürich rege teil und befreundete sich mit den Schriftstellern Hermann Hesse, Emil Schibli, Hans Morgenthaler, den Malern und Bildhauern Wilfried Buchmann, Hans Berger, Johann von Tscharner, Karl Geiser, Hermann Haller, Hermann Hubacher und den Musikern Othmar Schoeck und Fritz Brun.
1951–1953 war er Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission. Von Dezember 1957 bis April 1958 unternahm er mit seiner Frau eine Weltreise; Anlass war der Besuch bei ihrer Tochter Barbara, die in Australien lebt. Ab 1960 folgten mehrere Aufenthalte auf Sardinien, wo Morgenthalers sich ein Haus bauten. Ernst Morgenthaler war von den 1920er bis in die 1960er Jahre einer der wichtigsten figurativen Maler in der Schweiz. Man sah die Bedeutung seiner Malerei in der Betonung des subjektiv Erlebnishaften und in ihrer differenzierten Farbigkeit. Ferner stellte man Morgenthalers romantische Tendenz in Gegensatz zum Pathos und der Monumentalität bei Ferdinand Hodler und dessen Nachfolge. Er fiel als Maler auf, der den eigenen Lebensbereich und die heimatliche Landschaft poetisch deutete, aber auch hintergründig und visionär zur Darstellung brachte. Landschaften zu jeder Jahreszeit, Porträts, Familienszenen, Nachtbilder, Stillleben – dies sind seine immer wieder variierten Themen; er konzentrierte sich auf schlichte Motive aus dem eigenen Lebensbereich und konnte im Grunde nur malen, was er selber gesehen und erlebt hatte oder wovon er ergriffen war. «Kunst kommt nicht von Können», korrigierte er den gängigen Ausdruck, «sie ist von Anfang an da und heisst Ergriffenheit».
Morgenthalers erste Werke waren vom Jugendstil beeinflusste Zeichnungen und Aquarelle, Karikaturen und satirische Blätter voller beissender Ironie und Sozialkritik, aber auch atmosphärisch dichte Bilder seiner Fantasie- und Traumwelten. In der Malerei wich die anfängliche starke Abhängigkeit von Amiet ebenfalls sehr bald persönlichen Formulierungen in Thema und Gestaltung. Mit seinen fantasievollen Bildern der 1920er Jahre brachte er einen völlig neuen Zug in die Schweizer Malerei: Der schöne Farbklang, das Geheimnisvolle in der Stimmung, aber auch das Skizzenhafte sowie die eigentümliche Vermischung von Malerei und Zeichnung sind das Charakteristische dieser frühen Gemälde (Trabrennen in Viareggio, 1922). Oft kombinierte Morgenthaler eine impressionistische Sehweise mit einer ausgesprochen expressiven Gestaltung. Ein wichtiger Schritt für seine Entwicklung war die Entscheidung, 1928 mit der Familie nach Paris zu ziehen, wo er sich intensiv dem Malen und der Vertiefung seiner Kenntnisse widmete. Mit sorgfältig gewählten Farbtönen suchte er noch bewusster nach suggestiven Wirkungen.
In der Organisation der Objekte im Raum werden der persönliche Eindruck des Malers von der Harmonie der Farben und Formen, seine Stimmung und Empfindung mitgeteilt. Das malerische Element tritt nun stärker hervor als das zeichnerische, Figürliches wird teilweise nur noch angedeutet, einzelne Bildpartien werden nahezu abstrakt (Das Gartentor in Meudon, 1929). In den Landschaften der 1930er und 1940er Jahre erreicht er einen differenzierten Umgang mit der Farbe, der auf den Einfluss Cuno Amiets und die Auseinandersetzung mit der französischen Malkultur zurückgeht (Rauhreif, 1939). Die Leichtigkeit und Sicherheit in der Gestaltung verführten ihn zu einer routiniert glatten Malweise, die er aber souverän mit virtuoser Handschrift variierte. Seine Selbstzweifel führten immer wieder zu Werken von tiefer Aussage und Fragilität. In dem nach etwa 1954 einsetzenden Spätwerk ist eine Veränderung auszumachen, die Motiv und Gestaltung gleichermassen betrifft: Einzelheiten treten zurück, die Modellierung verschwindet oft ganz, die Darstellung löst sich formal und farblich von der Natur; bei freier malerischer Struktur wird ein fester formaler Bildaufbau angestrebt (In Maloja, 1955). Von den Bildern der letzten Jahre fallen die einfach und gross gesehenen Meerlandschaften aus Sardinien auf. Sie sind von zarter, teilweise intensiver Farbigkeit und auf die notwendigsten Flächen und Linien reduziert; es sind stille, auf das Wesentliche konzentrierte Bilder von poetischer Stimmung.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Steffan Biffiger, 1998, aktualisiert 2015 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000068
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