ISELI, ROLF
* 22.1.1934 BERN
Maler und Radierer.
1950–1954 Lehre als Foto- und Farblithograf. Abendkurse an der Kunstgewerbeschule Bern. 1953 und 1954 Aufenthalte in der Nähe von L’Estaque in Südfrankreich. 1954 erste tachistisch-abstrakte Bilder. 1955 Parisaufenthalt und Kontakt mit Sam Francis. 1957 und 1963 Eidgenössisches Kunststipendium. 1959 Teilnahme an der II. documenta (Kassel) und der Biennale de Paris. 1961 Kauf eines Hauses in St-Romain im Burgund, wo er seither regelmässig – im Wechsel mit Bern – einen Teil des Jahres verbringt. 1962 in New York. 1966 Ablösung der Ölmalerei durch Lithografie, Aquarell und Collage. Zunehmendes Interesse an der Plastik. 1967 Moskaureise. Ersten Schmiedeversuchen in der Dorfschmiede von St-Romain folgt ab 1969 eine jahrelange Zusammenarbeit mit der Schmiede- und Giessereiabteilung der Firma Von Roll in der Klus bei Balsthal (SO). Anlehre in Eisenguss. Es entstehen geschmiedete Plastiken und kleine Eisenobjekte. 1971 Prix de la Ville de Genève für das druckgrafische Werk. Teilnahme an der Ausstellung The Swiss Avant Garde im Cultural Center New York. 1972 an der documenta 5. In St-Romain legt Iseli 1971 einen Weinberg an und beginnt Erde und andere natürliche Materialien in seine Werke zu integrieren. Ab 1975 grossformatige Kaltnadelradierungen. Teilnahme an der Bienal de São Paulo. 1976 Chinareise, danach Verwendung eines roten Namensstempels zur Bezeichnung seiner Blätter. 1978 grosse Übersichtsausstellungen im Kunsthaus Zürich sowie im Kunstverein Braunschweig. 1985 Ausstellung der Druckgrafik im Cabinet des estampes in Genf. 1987 Erdbilder im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen. 1988 Ausstellung in der Graphischen Sammlung der ETH, Zürich. 1990–1991 Einzelausstellung im Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne, 1993 in der Pinacoteca Comunale Casa Rusca, Locarno, und 2009/2010 im Kunstmuseum Bern.
1958 bezeichnete der Kunsthistoriker Georg Schmidt anlässlich der Neuenburger Ausstellung La peinture abstraite en Suisse Rolf Iseli als den «Radikalsten unter den Tachisten». Das Frühwerk bestimmen grosse, weitgehend monochrome Flächen (Rot 1, 1957), die sich mit unruhigen, gestisch gemalten oder «geschriebenen» Linienknäueln (Schwarz, Gelb auf Weiss, 1956) abwechseln. Die Bezüge der im Rahmen der Berner Action-Painting-Szene entstandenen Werke zum Pariser und New Yorker Informel sind evident. Gegen Mitte der 1960er Jahre endet diese Phase bei Iseli in einer künstlerischen Krise und der Aufgabe der Ölmalerei 1966. Seither bevorzugt er das Papier als Bildträger und Ausdrucksmittel. Auseinandersetzung mit Lithografie (Stockhorn-Mappe, 1968; St-Romain-Mappe, 1972), Aquarell und Collage.
Ohne das grafische Werk zu vernachlässigen, das eine Tendenz zum Gegenständlichen aufweist, wird Iseli in dieser Zeit der Materialexperimente vorübergehend zum Plastiker und Objektmacher: auf die Collage folgen das Relief und die dreidimensionalen Farbkörper aus Holz. Die Zusammenarbeit mit Von Roll bringt Iseli in die Nähe kollektiver Produktionsprozesse, lässt ihn aber auch – in einem der Kunst gegenüber skeptischen Umfeld – über den Werkbegriff nachdenken. Als fingierte Objets trouvés formt er um 1970 Alltagsgegenstände wie Eisenknochen, Chlämmerli (Wäscheklammern), Iseschwümm (Pilze aus Eisen) oder auch Eisenzüpfen (Brotzöpfe) in Originalgrösse. In der Fabrik «wirken meine Arbeiten am unmittelbarsten, eine Eisenzüpfe auf dem ‹Znünibrett› eines Arbeiters [...] hier bricht eine Überraschung durch, die auch Sehen heisst» (Iseli). Als verlässlichstes Bindeglied zwischen dem Künstler und den Fabrikarbeitern erweist sich aber schliesslich doch der Herstellungsvorgang selber mit seinen hohen technischen und handwerklichen Anforderungen, so bei der Entstehung der 23 Tonnen schweren Eisenplastik Grosse Fünf (1973–1974), die diese Schaffensphase abschliesst. Die Zeit bei Von Roll, «der lange Marsch zu und in die Fabriken» (Iseli), stärkt nicht nur seinen Glauben an die prozessorientierte künstlerische Arbeit, sondern vertieft auch das Materialverständnis, was den Einbezug ursprünglich kunstfremder Mittel nach sich ziehen sollte. Iselis künstlerische Pionierarbeit in der Schwerindustrie findet bei Schang Hutter, Franz Eggenschwiler und anderen Kunstschaffenden bald Nachahmung. Ist in den 1960er Jahren die Reflexion aktueller Kunstströmungen wie der Pop Art bei Iseli nicht zu übersehen – etwa wenn er Banales in den Rang des Kunstwerks erhebt oder wenn er der Ziffer Fünf ein tonnenschweres, signalhaftes Denkmal setzt –, so beginnt in den 1970er Jahren ein Prozess der Selbstbesinnung und des Rückzugs
. Das ländlich-isolierte Leben im Maison aux quatre vents ohne Strom und fliessendes Wasser, die künstlerische Arbeit unter freiem Himmel sowie die Bestellung des eigenen Weinbergs wirken fortan unmittelbar auf die Entstehung der Werke. Die Materialien und Gegenstände der allernächsten Umgebung – Erde, Federn, Binsen, Stroh, Bienenwaben, Nägel und rostige Eisenstücke – vereinigen sich mit Wasserfarbe, Pastellkreide, Kohle und Bleistift auf dem Papier zu Materialbildern. Den geistigen Hintergrund bilden dabei eher östliche Lehren als die Arte Povera. Neben den Erdlandschaften (ab 1971), die trotz gegenständlicher Bezüge an die tachistischen Arbeiten der 1950er Jahre anknüpfen, taucht in ungezählten Variationen immer wieder Iselis eigene Silhouette als der Bild gewordene Schatten des Künstlers auf dem Papier auf: Homme de Terre und Homme cactüsse, inspiriert vom Pilzjahr 1974 der Homme champignon, oder E wiude Siech, Nagumönsch und Fäderemaa. Die bis an die Grenze ihrer Reissfestigkeit strapazierten Blätter zeichnen sich durch mächtige «aus dem Armradius heraus» (Peter Killer) gesetzte Striche und den Kontrast zwischen blauen (seltener roten) Wasserfarben sowie Erd- und Rosttönen aus. Dazwischen stehen häufig hingekritzelte Wörter oder Sätze; Gedankenfragmente aus dem Arbeitsprozess. Nebenbei entsteht seit den 1970er Jahren aus den auseinandergefalteten Schachteln von Iselis Zigarren die Boyards-Serie. Mit den in die Schachteln eingeklebten, übermalten und durch Wortspiele umgedeuteten Postkarten legt der Künstler einen dadaistisch-surrealen Witz an den Tag. Hat Iseli schon ab 1966 mit Kupferstichen und kleinformatigen Radierungen experimentiert, beginnt er 1975 mit einer langen Reihe von Kaltnadelradierungen, die er teilweise mit lithografischen Abdrücken kombiniert.
Nicht die druckgrafischen Vervielfältigungsmöglichkeiten stehen dabei im Mittelpunkt, sondern die Eigenschaften von Kaltnadel und Lithografie als Ausdrucksmittel: Zahlreiche überarbeitete Einzelblätter, Zustandsdrucke und Kleinstauflagen, motivisch den Materialbildern verwandt, sind das Resultat. Charakteristisch sind die gestische, manchmal aggressive Strichführung und die Grösse der Kupferplatten, die bis gegen 200 x 100 cm reicht, was 1986 den Bau einer speziellen Tiefdruckpresse erfordert. Mitte der 1980er Jahre wandeln sich die Erdlandschaften zu Endlandschaften, in denen sich graue und schwarze Töne zur aufgeklebten Erde gesellen und eine «apokalyptische Stimmung» (Tina Grütter) evozieren. In die Bilder geschriebene Bemerkungen wie «Erde zerstört» oder «vergiftet» machen Iselis Sorge um die Umwelt sichtbar. Unter dem Einfluss von längeren Aufenthalten 1992−1994 in Jávea an der spanischen Mittelmeerküste südlich von Valencia scheinen die Farben seiner Bilder an Leuchtkraft und Heiterkeit zu gewinnen. Die Werke der darauffolgenden Jahre sind indessen wieder vermehrt von einer gedämpften Farbigkeit geprägt.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Sandi Paucic, 1998, aktualisiert 2015 , in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000003
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