MÜLLER-BRITTNAU, WILLY
* 3.8.1938 WINTERTHUR, † 8.7.2003 OFTRINGEN
Maler und Plastiker.
Knapp 20-jährig, Ende der 1950er-Jahre, erregte Willy Müller im Aargau mit expressiven Landschaften Aufsehen. Der junge, in Winterthur aufgewachsene Künstler arbeitete als Retoucheur in Zofingen, den Beruf hatte er aus familiären Gründen erlernt, obwohl er nach dem Vorkurs an der Kunstgewerbeschule Zürich 1954–55 lieber Künstler geworden wäre. Bis 1963 behielt er den Brotberuf bei, daneben malte er und gehörte bis 1965 zusammen mit Heinrich Gisler, Werner Holenstein, Heiny Widmer und anderen zur Freien Gruppe Zofingen. In den 1960er-Jahren lebte Willy Müller in Brittnau; der Basler Museumsdirektor Franz Meyer nannte ihn deshalb zur Unterscheidung von Namensvettern Müller-Brittnau. Der Name blieb, auch als der Künstler nach Oftringen zog.
1958 wurde die Begegnung mit Werken des amerikanischen Action Painting für Willy Müller-Brittnau zum Schlüsselerlebnis. Nach der Beschäftigung mit informeller Malerei entwickelte er eine geometrische Bildsprache und leistete in den 1960er- und 1970er-Jahren einen über die Schweiz hinaus beachteten Beitrag zur Farbfeldmalerei und Signalkunst. 1976 folgte die Krise, der Bruch: er schüttete alle Farben zusammen und übermalte die im Atelier verbliebenen Leinwände mit der schmutzig-schwarzen Farbe. Nach einer Malpause entstanden gegen 1980 heftige, gestische Bilder, die sich mit den Jahren wieder zu geometrischen Kompositionen (Flächenteilungen, Kreuzformen, Streifen) verdichteten.
Neben Malerei, Zeichnung und Druckgrafik schuf er zahlreiche ortsbezogene, plastische Arbeiten und entwickelte Farbgestaltungen für Bauten. Die Wirkung und gegenseitige Steigerung der Farbflächen interessierte sowohl den jungen Künstler der abstrakten Papiercollagen oder Gemälde (mit Zickzack-sowie Wellen- und Bogenformen in den Grundfarben oder Rahmenmotiven in Pastelltönen) als auch den reifen Maler der Streifenbilder von 1996. Formen der Farbe hiess programmatisch eine Ausstellung 1967 in der Kunsthalle Bern. Mit im Raum aufgestellten Farbtafeln schuf er 1975 im Kunstmuseum Winterthur eine sakrale Raumwirkung und erzielte mit dem am Boden ausgelegten Farbfeld 1996 im Festsaal des alten Schützenhauses in Zofingen eine ähnliche Stimmung. Die tachistischen Bilder der Frühzeit – auf der andern Seite der stilistischen Skala – fanden um 1980 ein gesteigertes Pendant in der gestischen Malerei.
Den Aufbau der Bilder in den 1990er-Jahren bestimmt farbliche Mengengleichheit mit dem Ziel einer nicht-hierarchischen Komposition ohne Zentrum: Farbraum als Metapher zum Geistraum. Gegensätze und gleichzeitig Konstanz prägen auch das plastische Œuvre. Streng in der Form, aber verspielt in der Idee präsentierte sich 1970 an der Plastikausstellung in Biel der monumentale, bemalte Rahmen aus Stahl von Willy Müller-Brittnau und Albert Siegenthaler. Von gleicher Wirkung sind die mit bunten Keramikplatten überzogenen Würfel vor der Aarauer Hauptpost von 1988. Eruptive Gesten überziehen die Raumteiler, die er 1985 für ein Grossraumbüro der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS) in Zürich schuf. Eine wundersame Verbindung von Bewegung und Bild erlebt, wer im Gewerbeschulhaus Aarau-Telli mit dem Lift dem Wandbild Müllers entlangfährt. Seine Kunst-am-Bau-Arbeiten setzen der Architektur stets eigene, bunte Akzente entgegen, Müllers Wandmalereien, Reliefs und Plastiken ordnen sich nie unter.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Sabine Altorfer, 1998, aktualisiert 2018 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4002398
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