Thunersee mit Stockhornkette. Um 1913.
Öl auf Leinwand.
Unten rechts signiert: F. Hodler.
62,5 x 85,5 cm.
Provenienz: Privatbesitz Schweiz. Bätschmann, O. und Müller, P: Hodler, Catalogue raisonné der Gemälde, Bd. 1, Die Landschaften, Teilbd. 2, Zürich, SIK, 2008, S. 393, WV Nr. 486, mit Abb. Mit der Stockhornkette empfand Ferdinand Hodler eine tiefe Verbundenheit. Von seiner Lehrlingszeit bis zu seinem grandiosen Spätwerk, über fast ein halbes Jahrhundert hinweg, beschäftigte sich der Maler immer wieder mit jenem Gebirgszug im Berner Oberland, der nach seinem markanten, aus einer fast senkrechten Gesteinsplatte gebildeten Gipfel benannt ist. Bereits mit 14 Jahren kommt er, nach einigen Jahren in Steffisburg am Thunersee, in die Lehre zu dem Vedutenmaler Ferdinand Sommer in Thun, der für die Touristen Landschaften in Serie erstellt - für Hodler der Eintritt in die Kunst, wie er später über diese Zeit urteilt. In dessen Werkstatt malt der Lehrling erstmals Ansichten vom Niesen und dem Stockhorn und zeigt sich bereits fasziniert und überwältigt von der Alpenlandschaft. Unter seinem Lehrer Bartélemy Menn (1815-1893) lässt er später Sommers romantisierende Vedutenmalerei hinter sich und emanzipiert sich zum Künstler mit eigener Ausdruckskraft. 1883, als etablierter, allerdings umstrittener Maler in Genf, errang er mit der Alpenlandschaft (Das Stockhorn) (heute im Musée d'art et d'histoire, Genf) den ersten Preis in dem nach dem Schweizer Alpenmaler Alexandre Calame benannten Concours Calame. Danach rückt die Landschaft zugunsten des symbolistischen Figurenbildes für fast zwei Jahrzehnte in den Hintergrund, bis er sie um 1904 wieder aufgreift. 1904/05 malt er die Stockhornkette in mehreren Versionen, auf denen sie sich in westlicher Richtung hin bis zum Gurnigelgebiet erstreckt. 1912/13 beschäftigt er sich erneut mit diesem Motiv, als er seine kranke Freundin Valentine Godé-Darel in Hilterfingen besucht, wo sie zur Erholung weilt. Formal konzipierte Ferdinand Hodler den hier angebotenen Thunersee mit Stockhornkette um zwei Symmetrieachsen. Sehr deutlich herausgearbeitet ist die horizontale Achse, nämlich die Uferlinie des Thunersees, die die Darstellung fast genau mittig in eine untere und obere Bildhälfte trennt und als Kante der Spiegelung der Stockhornkette nach unten dient. Die zweite, vertikale Achse wird durch eine gedachte Linie zwischen dem Stockhorngipfel und seinem Spiegelbild unten gebildet. Links und rechts fallen die Bergrücken in ungefährer Entsprechung voneinander zu den Bildrändern ab. Die parallel verlaufenden Wolkenstreifen unter den Gipfeln nehmen diese Rhythmisierung auf. Durch diese beiden Achsen ergeben sich vier Bildquadranten, die sich ähneln und deren Ecken genau an jenem Punkt zusammenlaufen, den Hodler mit einem gedämpften Rot betont: der Bildmitte. Bereits die Wahl des Bildausschnitts erfolgte durch Hodler so, dass ein Motiv seine Anlage zu bilateraler Symmetrie offenbaren konnte. Symmetrie, das ist die Unveränderlichkeit eines Objektes, auch wenn es gedreht, gespiegelt oder verschoben wird. Sie stellte eines der wichtigsten Gestaltungsprinzipien von Hodler auf seiner Suche nach einem Naturphänomen dar, das im Zentrum seines Schaffens stand, dem Parallelismus. "Parallelismus benenne ich jede Art von Wiederholung", erklärte er in einem Vortrag. "So oft ich in der Natur den Reiz der Dinge am stärksten spüre, ist es immer ein Eindruck von Einheit. Führt mich mein Weg in einen Tannenwald, wo die Bäume sich hoch zum Himmel heben, so sehe ich die Stämme, die ich zur Linken und Rechten vor mir habe, als unzählige Säulen. Ein- und dieselbe vertikale Linie, viele Male wiederholt, umgibt mich. […] Eine analoge aber stärkere Wirkung verspüren wir, wenn wir auf einem Berggipfel inmitten der Alpenregion stehen. Alle die unzähligen Spitzen, die uns umgeben, verschaffen uns jenen eigenen Reiz, der aus der Wiederholung resultiert." Hodlers stringente Bildkomposition wird durch zwei weitere Gestaltungsmittel betont. Zum einen bietet Hodler dem Betrachter keine naturalistisch-detaillierte Schilderung von Bergen, Himmel und Wasser; er betont vielmehr die Fläche und verzichtet auf Farbperspektive. Dies unterstreicht er andererseits durch die stark beschränkte Farbpalette, die er auf den Komplementärkontrast Gelb-Blau verdichtet. Dadurch erreicht er eine Verfremdung und Stilisierung der Landschaft einerseits, eine völlige optische Beruhigung der Darstellung andererseits. Das Ergebnis ist gleichsam ein Destillat dessen, was Hodler für das Wesentliche, das Essentielle in der Anschauung dieses Gebirgsmassivs hielt. Damit bekannte er sich zur "Mission des Künstlers". Denn diese sei es, "dem Unvergänglichen der Natur Gestalt zu geben, ihre innere Schönheit zu enthüllen. Der Künstler kündet von der Natur, indem er die Dinge sichtbar macht; […] er zeigt uns eine vergrösserte, eine vereinfachte Natur, befreit von allen Details, die nichts sagen." Unsere Stockhornkette ist weniger eine Landschaftsansicht als ein eigentliches charakteristisches Portrait dieses Gebirges. Hodler konzentrierte mit malerischen Mitteln alle Aufmerksamkeit auf Eigenschaften der Berge, wie sie menschlichen Individuen zugeschrieben werden: Einsamkeit, Erhabenheit und Unnahbarkeit. Nicht Lieblichkeit und Idylle der Natur interessierten ihn, sondern ihre Grösse, Unendlichkeit und Unberechenbarkeit. Er malte eine im Wortsinne erhabene, sich über alle Niederungen erhebende Natur und richtete den Blick in seinen Gemälden häufig nach oben, was als Ausdruck des Wunsches nach Einssein mit der Natur gelesen werden kann. Tatsächlich kulminiert jede Betrachtung unserer Stockhornkette in ihrem Gipfel, den Hodler durch den Gegensatz zwischen einer von den letzten Sonnenstrahlen rosa überhauchten Bergflanke und der dunklen Spitze besonders betont. Oben kristallin und klar, durch schwarz umrandende Umrisse scharf gegen das Gegenlicht des gelblichen Abendhimmels abgesetzt, verschwimmt die Silhouette der Bergkette allerdings auf dem spiegelnden Thunersee, ihre Farbigkeit wird nur gedämpft wiedergegeben. Hodler macht mit solchen Gegensätzen von Amorphem und Kristallinem, Gestaltetem und Chaotischem die Spannungen in der Natur sichtbar. In anderen Versionen dieses Motivs verortet Hodler den Betrachter fest im Diesseits. In einer 1904 entstandenen Version bietet er unserem Auge beispielsweise als optische Stütze am unteren Bildrand einige aus der Wasseroberfläche ragende Kiesel und einen schmalen Erdstreifen, der das diesseitige Ufer des Thunersees bildet (Thunersee mit Stockhornkette, 1904, Kunstmuseum Bern, siehe dazu Oskar Bätschmann und Paul Müller [Hrsg.:], Ferdinand Hodler: catalogue raisonné der Gemälde, Band 1, Die Landschaften, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich: Scheidegger & Spiess, 2008, Nr. 310, S. 280). Oder er "entzieht" uns zwar das rettende Ufer, doch wird diesem Gefühl des "optischen Schwimmens" durch einen Naturalismus in Farbigkeit und Detailtreue entgegengesteuert, Hodler stellt also der Verunsicherung des Betrachters etwas Wohlbekanntes gegenüber (ausgeprägt z.B. in Thunersee mit Stockhornkette im Frühling, um 1912, Musée d'art et d'histoire, Genf, op. cit. Nr. 476, S. 387, Abb. S. 388, vgl. Abb 4). Wieder in einer anderen Variante sorgt er mit einer strahlenden Farbpalette, die den ganzen Bergzug erleuchtet, wieder für dessen Vertrautheit (wie in Thunersee mit Stockhornkette, um 1913, op. cit. Nr. 482, S. 390, Abb. S. 391, vgl. Abb. 5). Unsere Stockhornkette dagegen scheint entrückt, vom Betrachter körperlich getrennt durch die gekräuselte Wasseroberfläche, die an den Seiten und unten nicht durch eine Uferlinie begrenzt wird. Unser Standort ist dadurch unbestimmt, ufer-, raum- und zeitlos. Obwohl die Berge die ganze Breite des Gemäldes einnehmen, nimmt die besondere Farbigkeit dem Massiv alle Schwere. So entschwindet die Stockhornkette als lockendes Traumgebilde, klar und doch unerreichbar über dem Flimmern des Wassers.
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