Lotto 3655* - Z24 Postwar e contemporary art - lunedì, 30. giugno 2008, 14h00
ANSELM KIEFER
(Donaueschingen 1945–lives and works i.a. in Paris)
Der gestirnte Himmel über, mir das moralische Gesetz in mir. 1980.
Acryl und Emulsion auf Fotografie (1969).
83 x 58 cm.
Provenienz:>R> -Von der Schwester des Sammlers auf der Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, 18. Sept. - 26. Okt 1980, Stuttgart erworben. >R> -Deutsche Privatsammlung. >R< >R< Ausstellung: >R< -Anselm Kiefer, Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, 18. Sept. - 26. Okt 1980, Stuttgart: Württembergischer Kunstverein, 1980. >R< >R< "Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. (...)" schrieb Immanuel Kant (1724-1804) im "Beschluß" der "Kritik der praktischen Vernunft", dem zweiten Hauptwerk des Philosophen, das erstmals 1788 in Riga erschien. Ganz in diese Bewunderung und Ehrfurcht versunken zu sein scheint der Künstler; "der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir" zitiert er Kant leicht abgeändert und hält seinen Blick fest in den Sternenhimmel aus schwarzer Acrylfarbe und Emulsion über ihm gerichtet. >R< Dabei bewegte sich Anselm Kiefer im Jahr 1969, als die diesem Werk zugrunde liegende Schwarzweiss-Fotografie entstand, keineswegs in Himmelssphären, sondern nahe am moralischen und politischen Abgrund. In der Bewegung seines hier durch schwarzes Gewölk amputierten rechten Armes ist nämlich noch der Hitlergruss zu erkennen, der Kiefer insbesondere in den Jahren 1969-71 intensiv beschäftigte; ein bewusster Tabubruch, ein Nach-leben des Unvorstellbaren, mit dem er die Grenzen der künstlerischen und gesellschaftlichen Akzeptanz auslotete. Zahlreiche Gemälde und Fotografien zeigen ihn mit der provozierenden Armhaltung. Mit diktatorischer Geste "besetzt" er in Hemd, Reiterhose, Stiefel und Uniformmantel "die Schweiz, Frankreich und Italien" (so ein Ausschnitt aus einem Titel) oder gibt sich in von Kommilitoninnen ausgeliehenen Häkelkleidern, mit erhobenem rechten Arm inmitten seines chaotischen Ateliers auf einem Stuhl stehend, der Lächerlichkeit preis. Das Künstlerbuch "Für Genet" von 1969 vereint zahlreiche Fotografien aus dieser Werkgruppe. Ganz offensichtlich hat auch dort die hier angebotene Arbeit ihren Ursprung. >R< Elf Jahre später scheint Kiefer den ursprünglichen Werkkontext mit der Neugestaltung durch schwarze und weisse Farbe allerdings mit einer zweiten Sinnebene ergänzen, überschreiben oder völlig abändern zu wollen, ein für Kiefer typischer Vorgang. "Seit dreissig Jahren", beschreibt Daniel Arasse das "Labyrinth" des Kieferschen Oevres, "entwickelt sich das Werk von Anselm Kiefer in einem Prozess aus Ablagerung, Kreuzung und Überarbeitung von Themen, Motiven und Konstellationen, die in sehr unterschiedlichen Medien immer wieder auftauchen und sich in ihnen überlagern (…)" (Daniel Arasse, Anselm Kiefer, München: Schirmer/Mosel, 2001, S. 19). Mindestens fünf Fotografien mit seiner Person von 1969 überarbeitet er im Jahr 1980 mit schwarz-weisser Übermalung künstlerisch und schreibt seinen Abbildern zugleich wie einem Theaterschauspieler verschiedene Rollen auf den Leib. Zum altorientalischen Helden Gilgamesch wird der Künstler in "Chuwawa /Gilgamesh" und "Gilgamesh im Zedernwald" (beide in Privatbesitz). Die stilisierten Umrisse von "Gebrochen Blumen und Gras" (Privatbesitz) lässt er über seinen auf einem Bett ruhenden Körper herabfallen - übrigens trägt er in dieser Arbeit dasselbe Kleid mit hellen Streifen wie in unserem Werk. Anklänge an germanische Mythen finden sich dagegen in dem hier angebotenen Werk "Der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir", das bisher der Forschung nicht bekannt war, und in "Der gestirnte Himmel" aus der Sammlung von Eric Fischl, New York (Abb.). Beide Werke sind formal fast identisch und müssen daher in engstem Zusammenhang entstanden sein. "Der gestirnte Himmel" aus der Sammlung Fischl war bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, wohl zuletzt in der Kiefer-Retrospektive "Die sieben HimmelsPaläste 1973-2001" in der Fondation Beyeler, Basel-Riehen, vom 28. Oktober 2001 bis 17. Februar 2002. Arasse weist darauf hin, dass das Motiv des Sternenhimmels, das Kiefer bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder zitiert, in "Der gestirnte Himmel" zum ersten Mal überhaupt auftaucht (Arasse, ebd., S. 21), und bringt die sich am unteren Bildrand windende Schlange mit Nidhögg in Verbindung (Arasse, ebd., S. 309), dem Drache der nordgermanischen Mythologie, der an den Wurzeln des Lebensbaumes Yggdrasil nagt. Diesen mag Kiefer mit den von Farbe ausgesparten Zweigen andeuten. Vertraut ist auch die Malerpalette, die Kiefer auf seinem Leib skizziert hat. "1974 führt Kiefer die Palette als Symbol für die Malerei und als Signum für die geistige Tätigkeit des Künstlers in seine Bildsprache ein", führt Stooss aus und bemerkt weiter, dass das Symbol aus seinem traditionellen allegorischen Zusammenhang gelöst und als Objekt isoliert worden sei (Toni Stooss, Des Malers Atelier, in: Anselm Kiefer, Bücher 1969-1990, Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen 29. Sept. - 18. Nov. 1990 [etc.], Götz Adriani [Hrsg.], Stuttgart: Edition Cantz, 1990., S. 29). "Als Schlaufenform, die Oben und Unten verbindet (…), verweist die Palette auf die Polarität von Oben und Unten und ihre Verklammerung im Akt des Malens" (Stooss, ebd., S. 30). Der Künstler und seine Kunst werden zu Mittlern zwischen Himmel und Erde. Mehr noch, der Künstler erschafft sie als kosmischer Regisseur neu: Ihm sind die lichten Höhen schwarz, die dunkle Unterwelt erscheint im überirdischen Licht.
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