CASTELLI, LUCIANO

* 28.9.1951 LUZERN

Maler, Fotograf und Filmemacher.

1968–69 Vorkurs an der Kunstgewerbeschule Luzern (Max von Moos, Anton Egloff). 1969–1972 Lehre als Schriftenmaler. 1970–71 Kiefer-Hablitzel-Stipendium. 1971 erste Performance Solarium in der Galerie De Appel, Amsterdam. Aufenthalte in Österreich und in den USA. In dieser Zeit erste fotografische Serien. 1973–75 Eidgenössisches Kunststipendium. 1976 Illustration von William S. Burroughs Alice’s Smile. 1977–78 in Rom.

1978 zieht Castelli nach Berlin. Freundschaft mit den Künstlern Salomé und Rainer Fetting aus dem Kreis der Jungen Wilden; Gemeinschaftsarbeiten. Zusammen mit Salomé zahlreiche Performances und Konzerte mit der Gruppe Geile Tiere. Mit Rainer Fetting dreht er mehrere Filme, etwa Rooms Full of Mirrors, gedreht 1982 auf Lanzarote. 1985–86 Aufenthalt auf den Philippinen. 1987 entstehen in der Toskana Eisen- und Bronzeplastiken.

1989 Umzug nach Paris. 1991 Heirat mit Alexandra, dem Modell seines Hodler-Zyklus und zahlreicher Aktbilder; 1996 Geburt des Sohnes Leandro, 1999 der Tochter Anjuli. 2009 zieht Luciano Castelli nach Zürich; verschiedene Aufenthalte in Paris und der in der Normandie. 2015 Gastprofessur an der Tianjin Academy of Fine Arts, China.

Luciano Castelli wird mit 21 Jahren in die internationale Avantgarde katapultiert, als Harald Szeemann ihn 1972 als Vertreter der damals aktuellen «individuellen Mythologien» in die documenta 5 aufnimmt. Castelli präsentiert kleine Tonskulpturen, die als Haschisch-Pfeifen zu benutzen sind. Zu diesem Zeitpunkt hat die Schweiz Castelli hauptsächlich durch die hyperrealistischen Porträts kennengelernt, die Franz Gertsch von ihm anfertigt. Der jungenhaft-androgyn wirkende Maler ist damals sein beliebtestes Modell.

1973 malt Castelli erste Selbstportäts und stellt sich als Frau dar. Gleichzeitig beginnt er sich selbst zu fotografieren und arbeitet in der Fotosequenz Der Spiegelsaal seine – gespielte – Vorliebe für die Ambivalenz der Geschlechter aus. Seine Kunst beschäftigt sich ausschliesslich mit der eigenen Person und dem von ihr besetzten Umfeld. Für mehrere Jahre wird Castelli diese Position der theatralischen Selbstbetrachtung einnehmen.

1970 Teilnahme an der Ausstellung Visualisierte Denkprozesse im Kunstmuseum Luzern, 1974 mit inszenierten Selbstporträts und nachgebildeten Utensilien seiner fiktiven Erlebniswelt an der legendär gewordenen Ausstellung Transformer. Aspekte der Travestie, ebenfalls im Kunstmuseum Luzern. Bei dieser von Jean-Christophe Ammann organisierten Schau lernt er den französischen Künstler Pierre Molinier kennen. Aus der Freundschaft zu ihm entsteht später der Bilderzyklus Hommage à Molinier (1982). 1976 gestaltet er einen Zyklus von rosa-violett-farbenen Aquarellen mit halluzinatorischen Selbstporträts.

1978 geht Castelli nach Berlin, wo er im Umfeld der Jungen Wilden einen pastosen, schwungvoll-expressiven Malstil entwickelt. In einer Reihe grosser, starkfarbiger Gemälde greift er auf die Standfotos zum Film Rooms Full of Mirrors (mit Rainer Fetting) zurück. Die Körperbemalung als malerisches Element, die die Berliner Bilder allgemein auszeichnet, findet in dieser Serie ihren Höhepunkt und gibt ihr eine unverwechselbare Handschrift. Ende der 1980er-Jahre beginnt das Selbstporträt beginnt in den Hintergrund zu treten, verschwindet aber niemals ganz aus seiner Malerei und der parallel entstehenden Fotografie.

Ab 1993 beschäftigt sich Castelli mit dem Problem der Tableaux tournants/Revolving Paintings, die keine eigentlichen Frontansichten haben, sondern von allen vier Seiten betrachtbar sind. Motivisch sind sie vom Leben rund um die Place Pigalle inspiriert: Leuchtreklamen, Werbeschilder, Stadtlandschaften − und all die verlorenen Figuren, die diese Szenerie bevölkern. In späteren, zunehmend abstrakt wirkenden Bildern dieser Serie wird die Farbigkeit zurückgenommen und auf Schwarz-Weiss reduziert. 1995 beginnt er mit einem von ihm selbst fabrizierten Fotoapparat in der Form einer Camera obscura neue Stilmittel für seine Fotografie zu erarbeiten.

SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz

Erika Billeter, 1998, aktualisiert 2016 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000292

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