WÜEST, JOHANN HEINRICH
* 14.5.1741 ZÜRICH, † 7.4.1821 ZÜRICH
Landschaftsmaler, Tapetenmaler, Zeichner, Radierer.
Sohn des Seilers Ludwig Wüest in Zürich. Um 1755 beginnt er eine vierjährige Lehre beim Flachmaler Melchior Wüest. Zur eigenen Weiterbildung kopiert er daneben Stiche nach einheimischen und fremden Künstlern, um die Landschaftsmalerei zu erlernen. Er wird Schüler von Johann Balthasar Bullinger dem Älteren und reist auf dessen Rat hin und mit dessen Empfehlungsschreiben nach Amsterdam; Wüest hält sich 1760–66 dort auf und studiert Werke holländischer Meister des 17. Jahrhunderts. Er lernt den Schaffhauser Porträtmaler Hans Jakob Maurer kennen, der ihn in Perspektive und Proportionslehre unterrichtet. In Amsterdam und in Rotterdam fertigt Wüest im Auftrag zahlreiche Wandmalereien, Aushängeschilder und Landschaftszimmer. 1766 reist er über Antwerpen und Brüssel nach Paris, wo er seinen holländischen Stil zu verfeinern und dem französischen Kunstgeschmack anzupassen versucht.
Wüest kehrt 1769 nach Zürich zurück, wird in die Malerzunft aufgenommen und ist hier als erfolgreicher Maler von Wandtapeten und Staffeleigemälden tätig. Prägend ist die Freundschaft zum Idyllendichter Salomon Gessner, der ihn zum Zeichnen nach der Natur anregt. Im November 1772 unternimmt er eine zwölftägige Reise zum Rhonegletscher, den er im Auftrag des englischen Naturforschers, Archäologen und Kunstsammlers John Strange darstellen soll. Gessner dürfte ihn mit Strange bekannt gemacht haben. Die Reise gibt Wüest die Gelegenheit, das Hochgebirge kennenzulernen und eine Sammlung von Skizzen nach der Natur anzufertigen.
1787 ist er eines der Gründungsmitglieder der Zürcher Künstlergesellschaft. Zu seinen Schülern zählen Ludwig Hess, Heinrich Freudweiler und Johann Kaspar Huber, Johann Kaspar Kuster und Heinrich Hauenstein. Wüest hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, neben dekorativen Arbeiten für Landschaftszimmer auch Gemälde mit Naturdarstellungen von unmittelbarer Intensität. Aus der Auseinandersetzung mit der holländischen Kunst des 17. Jahrhunderts und dem gründlichen Studium der Natur entfaltete er einen Stil, der auf wirklichkeitsnaher Naturbeobachtung und selbständiger Formensprache gründet. Seine Arbeiten zeigen vielfach eine lockere Malweise und eine einheitliche, bald blaugrüne, bald goldbraune Tonigkeit mit bemerkenswertem farblichem Nuancenreichtum. Die Staffagefiguren sind frei erfunden; sie bilden eigenständige Genreszenen und verleihen den Landschaften eine erzählerische Note.
Zunächst malte Wüest noch ganz unter dem Eindruck der niederländischen Kunst breit angelegte Flusslandschaften mit tief liegendem Horizont in vorwiegend schweren, dunklen Farbtönen. Die Reise zum Rhonegletscher schlug sich später in der bevorzugten Darstellung von Gebirgslandschaften nieder. So gehörte zur 18-teiligen Gemäldefolge für den Gartensaal im Wollenhof in Zürich auch der Rhonegletscher (1775, Kunsthaus Zürich), Wüests eigenhändige Replik des für John Strange gemalten Bildes. Auch mehrere Kopien sind überliefert. Diese erste topografisch richtige Ansicht des Gletschers nimmt in Wüests Œuvre eine Sonderstellung ein, indem sie das Malerische und das Erhabene der Natur zugleich zum Ausdruck bringt. Typisch für Wüests Anschauung ist die Kombination der idyllischen Ideallandschaft mit Ansichten bekannter Gegenden zu komponierten Stimmungslandschaften.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Paola von Wyss-Giacosa, 1998, aktualisiert 2016 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4022970
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