PEDRETTI, TURO
* 7.12.1896 SAMEDAN, † 17.7.1964 CAZIS
Maler.Arturo Pedretti, genannt Turo, wächst als Sohn eines aus dem benachbarten Italien eingewanderten Dekorationsmalers in Samedan auf. Dank dem Interesse seines Vaters an der Malerei und besonders am Werk Giovanni Segantinis kommt er bereits früh in Kontakt mit zeitgenössischer Kunst. Nach dem Tod des Vaters 1912–16 Besuch der Kunstgewerbeschule in Zürich und Lehre als Dekorationsmaler. Freundschaft mit dem romanischen Dichter Men Rauch und Ateliergemeinschaft mit dem Bildhauer Werner Friedrich Kunz in Zürich. Während der Kriegsjahre Einberufung in die italienische Armee. Erwirbt 1916 das Schweizer Bürgerrecht und leistet mehrere Aktivdiensteinsätze. Dazwischen Gelegenheitsarbeiten, ab 1917 erste Ausstellungen. Giovanni Giacometti wird auf Pedretti aufmerksam und ermuntert ihn zu freiem Schaffen. 1922 Studienaufenthalte in Paris und London.
1923 Niederlassung im Engadin, das er, abgesehen von verschiedenen Reisen sowie einigen Aufenthalten in Basel, nicht mehr verlässt. Im selben Jahr heiratet er die Basler Sängerin Marguerite His, die er in der Chesa Pedretti, der Fremdenpension seiner Mutter, kennengelernt hat. Geburt der ebenfalls künstlerisch tätigen Söhne Giuliano Pedretti und Gian Pedretti sowie der Tochter Ladina. Einige Aufträge für Wandbilder. 1927 erste Erfolge und ab 1930 Ankäufe durch das Bündner Kunstmuseum, Chur, das nebst der Nationale Suisse die repräsentativste Sammlung von Werken Pedrettis besitzt. Freundschaft mit Alfred Heinrich Pellegrini. Der Lawinenniedergang von 1951 in Samedan, der Wohnhaus, Atelier und zahlreiche Bilder Pedrettis zerstört, bedeutet eine Zäsur in dessen Leben. 1952 Neubeginn in Celerina und intensive Tätigkeit bis zu seinem Tod. Grössere Retrospektiven finden 1965 und 1984 im Bündner Kunstmuseum, Chur, sowie 1974 in St. Moritz statt. 1984 Retrospektive im Bündner Kunstmuseum, Chur, sowie im Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen; 2015 im Kunstmuseum Solothurn. 2014 erscheint eine grosse monografische Publikation (mit Werkverzeichnis).
In seinen Gemälden setzt sich Turo Pedretti mit seiner engsten Umgebung und dem alltäglichen Leben auseinander, ohne einer vordergründigen Heimatmalerei zu verfallen. Die Motive sind Engadiner Landschaften, Stillleben mit heimischen Blumen und Tieren (Jagdszenen) sowie Selbstbildnissen, Porträts von Familienmitgliedern und Menschen aus der Bündner Bevölkerung. Obwohl Pedretti mit dem nachimpressionistischen Schaffen Segantinis und Giacomettis vertraut ist, sind seine klar komponierten, stimmungsbetonten Bilder der 1920er-Jahre grautonig. Erst in den 1930er-Jahren verwendet er reine, ungebrochene Farben. Während die Geometrie des Bildaufbaus immer prägnanter wird, nimmt der Pinselduktus eine freie, dynamische Note an. In den 1940er-Jahren verstärkt sich die Tendenz zum Expressiven, zur Vereinfachung des Geschauten und zur Verfestigung der Form. Während der 1950er-Jahre bestimmt das intensive Kolorit den Ausdruck der zunehmend flächigeren, oft in flüssigen Farben alla prima gemalten Kompositionen.
Die nach Erzählungen oder aus der Erinnerung geschaffenen Gemälde bekommen visionären, sinnbildhaften Charakter. Pedrettis Schaffen steht in der Tradition des Fauvismus. Zudem sind sowohl Edvard Munch, dessen Bilder ihn anlässlich einer Ausstellung in Zürich 1922 tief beeindruckt haben, als auch Ernst Ludwig Kirchner, dem er persönlich begegnet ist, Vorbilder des der Generation der Schweizer Expressionisten angehörenden Künstlers. Insbesondere die ab den 1940er- Jahren von der gegenstandsunabhängig verwendeten Farbe, einer formalen Verdichtung sowie einer gestischen Malweise bestimmten Werke verleihen Turo Pedretti eine wesentliche Bedeutung innerhalb der Schweizer Landschaftsmalerei.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Annakatharina Walser Beglinger, 1998, aktualisiert 2015 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000007
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