MOILLIET, LOUIS RENÉ
*6.10.1880 BERN, † 24.8.1962 VEVEY
Maler, Glasmaler und Aquarellist.
Geboren als Sohn des aus Genf stammenden Berufsoffiziers Georges Marc Moilliet und der Mathilde Moilliet-Scherer, Tochter des Luzerner Gerichtsschreibers und Kantonsrats Franz Xaver Scherer. Louis Moilliet lernt im Literargymnasium Bern Paul Klee kennen, sie malen und musizieren gelegentlich zusammen, beide spielen Violine. Nach der Matura tritt Moilliet 1898 eine Lehre als Dekorationsmaler im Malergeschäft de Quervain in Bern an, ab 1900 nimmt er Zeichenunterricht beim Bildhauer Ferdinand Huttenlocher an der Gewerbeschule Bern. Moilliet zieht 1901 in die Künstlerkolonie Worpswede zu Fritz Mackensen. Nach kurzem Aufenthalt in Düsseldorf wird er 1902 Schüler von Hans Olde an der Kunstschule in Weimar. 1903 Tod des Vaters und Heimkehr nach Bern. 1904 Rückreise nach Worpswede.
Im Oktober des gleichen Jahres Aufnahme in die Meisterklasse von Graf Leopold von Kalckreuth an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. In Stuttgart lernt Moillet Hélène Gobat kennen, eine Tochter des Schweizer Friedensnobelpreisträgers Charles Albert Gobat, welche am Königlichen Konservatorium für Musik Klavier studiert. 1905 reist er von Bern aus in Begleitung von Paul Klee und dem Germanisten Hans Bloesch nach Paris. Im November Rückkehr nach Stuttgart und Studium bei Adolf Hölzel. Mit dem Maler Hans Brühlmann und dem Bildhauer Karl Albiker, zwei weiteren Hölzel-Schülern, arbeitet er 1906 an fünf Fresken für die Ausstattung des Theatersaals im 1905 erbauten Kulturhaus Pfullinger Hallen in Pfullingen. 1907 folgt ein längerer Studienaufenthalt in Rom, er trifft dort Hermann Haller und Karl Hofer, welche ebenfalls bei von Kalckreuth studiert haben. 1908 erste Tunisreise. Moilliet ist Gast des Ärztepaars Ernst und Rosa Jäggi-Müller in Tunis und weilt in deren Landhaus in St. Germain (Ez-Zahra).
1909 Aufenthalte in Bern und Genf. Gemäss unpublizierter Korrespondenz reist er im August wieder nach Tunis. Durch Elisabeth Gerhardt, die sich 1905 für einige Monate in Bern in der Pension von Moillet’s Mutter aufhält, lernt er 1909 deren Ehemann, den deutschen Maler August Macke kennen. Das Ehepaar Macke besucht auf seiner Hochzeitsreise am 5. Oktober 1909 Moilliet in Bern; gemeinsam reisen sie spontan nach Paris. Von dort fährt Moilliet im November wieder nach Tunis. Anfang April 1910 trifft Hélène Gobat in Tunis ein. Sommeraufenthalt bei Mackes am Tegernsee. Am 22. September 1910 Heirat mit Hélène Gobat und Umzug nach Gunten am Thunersee, wo das Paar bis 1916 lebt. Laut einem Brief von Hélène Moilliet-Gobat an Mathilde Moilliet, der Mutter von Louis, sind im Oktober 1910 als Besucher zu erwähnen: Ferdinand Hodler, Paul Klee, Emil Prochaska und Auguste de Niederhäusern-Rodo.
Im Jahr 1911 mehrmals in München. Moilliet trifft dort August Macke und weitere Künstler des Blauen Reiters, unter anderen Franz Marc und Wassily Kandinsky, welche den Almanach Der Blaue Reiter planen. Moilliets Beitrag dazu besteht in mehreren Abbildungen von Holzstatuen aus Malaysia und Borneo aus dem Historischen Museum Bern. Am 8. Oktober macht er in München Klee persönlich mit Kandinsky bekannt. Zwischen 1912 und 1913 Ausstellungsbeteiligung an der Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler zu Cöln, an der XI. Internationalen Kunstausstellung in München und am Ersten Deutschen Herbstsalon des Sturms in Berlin. In dieser Zeit entstehen Hauptwerke Moilliets in Öl, so etwa Berliner Variété, (1913, Kunstmuseum Bern). Im September 1913 zieht die Familie Macke für acht Monate nach Hilterfingen, unweit von Gunten, was zu einem regen freundschaftlichen Austausch mit den Moilliets führt.
Im Winter konkretisiert sich der Gedanke an eine gemeinsame Künstlerreise nach Tunesien, an der auch Paul Klee interessiert ist. Vom 7. April bis 22. April 1914 findet die legendäre Tunisreise mit den Hauptstationen Tunis, Sidi Bou Saïd, St. Germain, Hammamet und Kairouan statt. Die drei Künstler sind in Tunis und St. Germain Gäste von Moilliets Freunden Jäggi-Müller. Während zwei Wochen inspirieren sie sich gegenseitig in ihrer Aquarellmalerei. Da es sich um Moilliets vierten Aufenthalt in Tunesien handelt, steht für ihn nicht die Arbeit im Vordergrund. Klee, der die Reise im Tagebuch beschreibt, reist bereits am 19. April allein zurück. Anfang Juni sehen sich der nach Bonn zurückkehrende Macke und Moilliet zum letzten Mal.
Am 21. Januar 1916 stirbt Hélène Moilliet einen Tag nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Pierre Albert. Louis Moilliet beginnt in der Folge ein unstetes Wanderleben. 1917 wohnt er in Lausanne und anschliessend bei seinem Bruder Alexandre in Diemerswil bei Münchenbuchsee. Von November 1917 bis circa Februar 1918 Aufenthalt in Rom. Im Juni 1919 zieht er nach Luzern und von dort ins Tessin, wo er einige Zeit mit Hermann Hesse verbringt, der in der Casa Camuzzi in Montagnola an Klingsors letzter Sommer (erscheint 1920) arbeitet. In der Figur «Louis der Grausame» setzt ihm Hesse ein Denkmal. Moilliet gehört wie Hesse zum Freundeskreis der Kunstmäzene Max und Tilli Wassmer in Schloss Bremgarten bei Bern. In Tunesien malt Moilliet zwischen Dezember 1919 und Mai 1920 viele Aquarelle. Einen Teil des Sommers verbringt er bei Hesse in Montagnola und reist im Herbst erneut nach Tunis. Anfangs 1921 Aufenthalt mit Margaretha Barth-Zaeslin in Algerien und Marokko. Am 5. November 1921 Geburt des Sohnes Karl Peter, der später Bildhauer wird. Nach der Scheidung vom Basler Maler Pul Basilius Barth, heiraten Margaretha Barth-Zaeslin und Louis Moilliet am 17. Juni 1923 in Bern. Im gleichen Jahr malt er sein letztes grosses Ölgemälde, Stadt in Marokko (Privatbesitz), welches sich auf die 1921 in Marokko entstandenen farbintensiven, abstrahierenden Aquarellkompositionen mit arabischer Stadtarchitektur bezieht.
Für das Sammlerpaar Hermann und Margrit Rupf erarbeitet Moilliet 1924 ein dreiteiliges Glasfenster für ihr Privathaus an der Brückfeldstrasse 27 in Bern (2004 entfernt). 1925 führt er ein Farbkonzept und drei Glasfenster für die romanische Kirche in Bremgarten bei Bern aus. Louis Moilliet bewegt sich im Jahr 1926 zwischen den Balearen, Spanien und Bern und weilt mehrere Monate in Paris. Im Oktober trifft er dort Juan Gris. 1927/28 Aufenthalte an verschiedenen Orten in Frankreich und der Schweiz, im Herbst erneute Reise nach Tunesien. Den Jahreswechsel verbringt er in St. Moritz mit der Familie. 1929 letzter Aufenthalt in Tunesien.
Anfangs der 1930er-Jahre häufige Reisen nach Spanien, unter anderem Aufenthalte in Cadaqués, in Caldetas bei Barcelona, in Alicante und Sitges. Im Herbst 1934 arbeitet Moilliet in Bern am monumentalen dreiteiligen Glasfensterauftrag für die Lukaskirche in Luzern. Er lebt zwischen 1936 und 1938 teilweise mit Margaretha und den drei Söhnen (Henri André und Andreas Sebastian Barth und Karl Peter Moilliet) in Staufen (Baden-Württemberg) und in Basel, wo auch seine Schwester Mathilde Albrecht-Moilliet wohnt. 1937 findet die erste Retrospektive seines Werks im Kunsthaus Zürich statt.
Von 1937 bis 1939 benutzt Moilliet das Atelier von Ricco Wassmer in Bremgarten. Er führt 1939 ein Sgraffito an den Aussenwänden der Abdankungshalle des Schosshaldenfriedhofs in Bern aus. Ende 1939 bezieht er mit seiner Lebensgefährtin Kay Oederlin einen ständigen Wohnsitz, zuerst in Corsier-sur-Vevey, ab 1950 in La-Tour-de-Peilz. Der dritte Glasfensterauftrag, für die Zwinglikirche in Winterthur, entwickelt sich 1943–44 zu seiner abstraktesten Bildgestaltung. 1944 Suizid von Margaretha Moilliet in Basel. Zwischen 1948 und 1959 arbeitet Moilliet an zwei Glasfenstern für die Kapelle des Burgerspitals in Bern. Mit Max von Mühlenen verbindet ihn in dieser Zeit eine weitere Künstlerfreundschaft. Er vertritt 1962 die Schweiz an der XXXI. Biennale di Venezia. Moilliet stirbt am 24. August 1962 in Vevey und wird im Familiengrab auf dem Friedhof in Bremgarten bei Bern beigesetzt.
Moilliet arbeitet ständig an einer Verfeinerung der malerischen Mittel. Die Beschäftigung mit dem Orphismus Robert Delaunays fördert um 1911 eine Aufhellung der Palette und die vermehrte Anwendung reiner Farben. Ölgemälde wie Im Zirkus (1914/15, Kunstmuseum Basel) und Le grand carrousel (1916/17, Kunstmuseum Winterthur) zeigen das Einbeziehen der Farbperspektive und eine Fragmentierung des Raumes, welche mit dem Inhalt, der artistischen und flüchtigen Zirkus- und Gauklerwelt, korrespondiert. Moilliets Interesse entfernt sich Mitte der 1910er-Jahre von der Ölmalerei; er beschäftigt sich fortan vor allem mit dem Aquarell, wo er langjährig und selbstkritisch die Perfektion sucht. Er überarbeitet viele seiner Aquarelle Jahre nach ihrer Entstehung, indem er sie auswischt, zum Teil mit dickflüssiger Farbe Bereiche akzentuiert oder mit geometrischen Flächen versieht. Diese Werke entwickeln sich immer mehr zu Bildern des farbigen Lichtes. Die eigentliche Farbräumlichkeit erreicht er aber in letzter Konsequenz in Form farbiger Glasfenster und -gemälde.
Bis zur grundlegenden Untersuchung durch den Werkkatalog von Jean-Christophe Ammann von 1972 ist Moilliets Rezeptionsgeschichte von der Annahme geprägt, dass die legendäre Tunisreise von 1914 mit Macke und Klee Quelle seiner künstlerischen Inspiration ist. Damit wurde eine falsche Kausalität geschaffen und verschwiegen, dass Moilliet seit 1908 bereits drei Mal längere Zeit malend in Tunesien verbracht hatte. Zudem beginnt er bereits vor 1914 eine vielversprechende Karriere, die auf der gründlichen Kenntnis der Akademien, der Sezessionen, der Künstlerkolonie Worpswede, Hölzels Farbtheorien und der reinen Farb- und Formenmalerei basiert. Von Moilliet selber ist keine theoretische Abhandlung bekannt, lediglich in Briefen sind Überlegungen zu künstlerischen Fragestellungen zu finden. Sein Schaffen fügt sich in den Kunstdiskurs der zwei ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts bestens ein; nach dem ersten Weltkrieg verfolgt er einen individualistischen Weg, er beachtet den Kunstmarkt wenig und entzieht sich weitgehend dem Kunstbetrieb. Für Moilliets Unabhängigkeit mag förderlich gewesen sein, dass er 1926 durch den Tod seines Bruders Georges in Japan finanzielle Mittel erbt.
Moilliets Werk ist geprägt von seinen Kontakten zu den damaligen wichtigsten avantgardistischen Positionen in Europa. Der Stellenwert seines künstlerischen Werkes liegt in der forschenden Auseinandersetzung mit dem Medium Aquarell, das er – vergleichbar mit Cézanne – an die Grenze der Gegenständlichkeit führt.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Anna Schafroth, 2011; https://recherche.sik-isea.ch/sik:person-4023398/in/sikart
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