DANIOTH, HEINRICH
* 1.5.1896 ALTDORF, † 3.11.1953 FLÜELEN
Maler, Zeichner, Druckgrafiker und Schriftsteller.
Heinrich Danioth wuchs gegenüber dem Telldenkmal am Rathausplatz in Altdorf auf, wo sein Vater ein Uhrengeschäft betrieb. Die Schulen brach er im Alter von 16 Jahren ab. Die mit der Familie befreundete Aargauer Dichterin Sophie Hämmerli-Marti (1868–1942) erwirkte beim Vater, dass Heinrich ein Kunststudium absolvieren durfte. Er trat in das Atelier des Malers Rudolf Löw in Basel ein. Gleichzeitig besuchte er von 1912 bis 1915 die Abendkurse an der Gewerbeschule bei Albrecht Mayer. Während kurzer Zeit arbeitete er als Bürogehilfe in Zürich. 1915 rückte er in die Rekrutenschule ein. Während dem Aktivdienst erkrankte er 1916 schwer.
Zwischen 1919 und 1923 verbrachte Danioth jeweils die Sommermonate zeichnend, malend und schreibend auf der Golzerenalp oder zusammen mit seinem Freund, dem Volksmusikanten Berti Jütz, auf der Göscheneralp. Sophie Hämmerli-Marti ermöglichte dem jungen Künstler 1920 und 1921 zwei Studienreisen nach Rom. Für die Vereinigung Nächstenliebe Altdorf gestaltete er das Narrenblatt Föhn. In den folgenden Jahren erhielt die Altdorfer Fasnacht durch seine satirischen Beiträge, Schnitzelbänke und Maskenkostümentwürfe wichtige Impulse.
Im Sommer 1925 lernte Danioth auf dem Klausenpass den deutschen Künstler August Babberger kennen und folgte diesem im Herbst als Meisterschüler an die badische Landesakademie in Karlsruhe, der Babberger als Direktor vorstand. Die Jahre 1927–1928 verbrachte er in einem Berghaus hoch über Sisikon. Damals begann seine intensive Mitarbeit am Nebelspalter, die bis 1942 dauerte. Neben dem zeichnerischen, druckgrafischen, malerischen und literarischen Schaffen sowie den zahlreichen Wandbildern, Glasmalereien und unzähligen Gelegenheitsarbeiten gestaltete Danioth auch wichtige Plakate, etwa für die Tellspiele Altdorf und den Verkehrsverein Uri, und schuf die Illustrationen zum Buch Goldener Ring über Uri seines Freundes Eduard Renner (1941).
1931 Heirat und Umzug nach Flüelen. 1932–1933 Bau des Wohn- und Atelierhauses Im Ring in Flüelen; der dem Neuen Bauen verpflichtete, für das damalige Uri avantgardistische Betonbau mit Flachdach gab zu heftigen Diskussionen Anlass.
1942 erschien die Bild- und Textfolge Steile Welt. Im Winter 1944 arbeitete Danioth am Urner Krippenspiel, das im Januar 1945 als Marionettenspiel in Altdorf von der von ihm gegründeten Künstlergruppe Gelb-Schwarz uraufgeführt und Ende des Jahres als Hörspiel von Radio Basel gesendet wurde. Unter dem Eindruck der Lawinenkatastrophen des Winters 1951 schrieb Danioth das Hörspiel Der sechste von den sieben Tagen, das von Radio Basel ausgestrahlt wurde und 1953 als Buch erschien. Nach einer erfolglosen Gehirntumoroperation in Zürich starb Heinrich Danioth im Kantonsspital in Altdorf.
In seinen frühen Bildern eignete sich Danioth die Kompositionsprinzipien Ferdinand Hodlers an und gliederte die Landschaft in strenge, nach der vertikalen Mittelachse oder horizontalen Bildteilungen ausgerichtete, symmetrische Entsprechungen. Bis gegen Ende der 1920er Jahre entstanden einige aussergewöhnliche Bilder, Holzschnitte, Aquarelle und Zeichnungen, die zu Recht zum schweizerischen Expressionismus gezählt werden. Mit dem Einfluss Babbergers und dessen Theorien, die sich der Urner am Anfang exzessiv zu eigen machte und von denen er sich Jahre später nur unter enormen Anstrengungen lösen konnte, wurde die expressive Unmittelbarkeit einer kompositorischen Disziplinierung unterworfen.
Die Figurenbilder und die Landschaften vom Klausenpass und Schächental weisen einen hohen Abstraktionsgrad und eine kristalline Bildstruktur auf. Obwohl Danioth seine Motive zeitlebens in Uri fand, interessierte ihn die Äusserlichkeit der Topografie weniger als die Landschaft als Ausdruck innerer Befindlichkeiten, als Seelenlandschaft, wie sie sich bei ihm bevorzugt in der Wiedergabe der Dämmerung oder der Nacht offenbarte, oder als Ort mystischen Geschehens. So bringen seine Werke nicht selten auch das Bedrohliche, Unheimliche und Unsagbare zur Darstellung. Biblische Geschehnisse wie die Geburt Christi und die Ankunft der Heiligen Drei Könige verlegte Danioth in die urnerische Winterlandschaft und verlieh den Protagonisten die Züge einheimischer Bauern und Wegknechte. In Uri traf der Künstler genügend Motive, um im Vertrauten und Naheliegenden den existentiellen Fragen nachzuspüren. «Die Erkenntnis, dass nur der eng bemessene Boden meiner Heimat Blatt und Frucht aus mir treibt, formt sich je länger je mehr zum festen Gesetz» (1929).
Es ging ihm stets um das Aufzeigen des Gleichnishaften und Allgemeingültigen, auf das er in Uri mit seiner Sagenwelt und dem «Magischen und Animistischen im Erleben und Denken der Bergler» (Eduard Renner) in hohem Masse stiess. Nach Renner ist das magische Weltbild Uris von drei Mächten, die das Leben der Bergler schicksalshaft bestimmen, geprägt: Vom Es als stete Bedrohung, vom Ring als Bannform und vom Frevel, der den Ring bricht und das Es zur zerstörerischen Gewalt herausfordert. Gegen das Etikett des Urners und Heimatmalers wehrte sich Danioth zu Recht, als er 1946 schrieb: «Man hat mich eigentümlicherweise zum Heimatmaler gestempelt, und doch möchte ich alles andere sein als nur der Urner. Ich spüre den Weiten des Menschlichen nach».
Die Entwicklung von Danioths Œuvre von expressiver Unmittelbarkeit zu Bildern mit abstrakt-dekorativen Strukturen, von der «Art officiel» der 1930er Jahre zu einem lyrischen Spätwerk, lässt sich besonders bei den zahlreichen ambitiösen Wandbildern, die zu den wichtigsten ihrer Zeit gehören, nachvollziehen. Noch unter dem Einfluss Babbergers entstanden 1927 die beiden expressiven Fresken Tellsprung und Rütlischwur in den Treppenaufgängen des Tellspielhauses in Altdorf, die damals die Gemüter erhitzten, weil die patriotischen Themen auf ungewohnt moderne Weise dargestellt wurden.
Für die Schweizerische Wohnbauausstellung 1930 in Basel schuf Danioth das Wandbild Die Familie mit der blockhaften Verknappung der Menschen und Dinge und der Thematisierung des Lebens als Werden, Sein und Vergehen. Das Wandbild Fundamentum mit dem Thema der sagenhaften Gründung der Eidgenossenschaft an der Fassade des Bundesbriefarchives in Schwyz (1935–1936) provozierte in der Schweiz den grössten Kunstkampf seit den Auseinandersetzungen um Ferdinand Hodlers Marignano-Fresken im Landesmuseum in Zürich.
Danioth erhielt in der Folge zwei wichtige offizielle Aufträge: Die Wandbilder Zeit und Stunde am Schweizer Pavillon der Pariser Weltausstellung von 1937 und Sonne am Firn am Landwirtschaftspavillon der Schweizerischen Landesausstellung von 1939 in Zürich. Zu den künstlerisch besten Leistungen Danioths gehört das Wandbild Föhnwacht im Wartesaal des SBB-Bahnhofes Flüelen, das 1950 entstand und nicht oberflächlich illustriert, sondern den plötzlich mit Urgewalt einbrechenden Föhn als Metapher für psychisch-erotische Befindlichkeiten und übergeordnete Mächte nimmt. Im gleichen Jahr führte er das Fresko Singstunde im Bernarda-Schulhaus in Altdorf aus und malte in der Schöllenenschlucht den roten Teufel unübersehbar an eine Felswand.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Beat Stutzer, 1998, aktualisiert 2011https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023382
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