CAMENISCH, PAUL
* 7.11.1893 ZÜRICH, † 13.12.1970 BASEL
Maler, Zeichner, Architekt.
Nach dem Tod des Vaters Johannes Camenisch lebt die Familie ab 1904 in Basel, der Heimatstadt der Mutter. Paul Camenisch verbringt die Ferien mit seinen beiden Brüdern oft bei Verwandten in Flerden (GR). Ein Onkel, Richard Camenisch, Anwalt und von 1895 bis 1904 Churer Stadtpräsident, ermöglicht ihm die Ausbildung.
1912–16 Architekturstudium an der ETH Zürich bei Karl Moser. 1916–19 als Bauführer in Deutschland, danach bis 1923 in verschiedenen Architekturbüros, vorwiegend bei Hans Bernoulli in Basel. 1921–24 Aquarelle mit fantastischen Architekturen, 1922–23 Aufenthalt auf dem Monte Verità bei Ascona.
In der Silvesternacht 1924 gründet Camenisch mit Albert Müller und Hermann Scherer in Obino die Künstlergruppe Rot-Blau, zu der später Werner Neuhaus stösst. 1925 Umzug nach Castel San Pietro, erste Gemälde. Im Sommer 1926 Aufenthalt bei Ernst Ludwig Kirchner in Davos. Nach dem Tod Müllers und Scherers wird 1928 Rot-Blau von Camenisch, Hans Stocker, Coghuf (Ernst Stocker), Otto Staiger, Charles Hindenlang und Max Sulzbachner neu gegründet.
1930 übersiedelt Camenisch nach Basel. 1933 Mitbegründer der Gruppe 33, die er von 1936–1952 präsidiert. Heirat mit Martha Hoerler. Camenischs Bildnis von Hermann Scherer, seit 1926 im Museum Folkwang Essen, wird 1937 in der berüchtigten Nazi-Ausstellung Entartete Kunst im Münchner Haus der Kunst gezeigt. 1939 Ausstellung in der Galerie de Beaune, Paris; 1941 im Bündner Kunstmuseum, Chur (mit Adrien Holy). 1944 Gründungsmitglied der Partei der Arbeit und Mitglied des Basler Grossen Rates (bis 1956).
1952 Präsident der Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion. 1953 Reise in die UdSSR, darauf Ausschluss aus der Gruppe 33. Retrospektiven 1970 in der Kunsthalle Basel (mit Rudolf Maeglin), 1985 im Bündner Kunstmuseum in Chur und im Kunstmuseum Olten.
Der ehemalige Architekt Paul Camenisch malt 1926 im Mendrisiotto eine Reihe eindrucksvoller expressionistischer Landschaften. Ernst Ludwig Kirchner, bei dem sich Camenisch in jenem Sommer aufhält, reagiert mit Zurückhaltung auf dessen neue Arbeiten. Ende der 1920er-Jahre wandelt sich Camenischs Stil. Er malt flächige, sehr eigenwillige, bisweilen halluzinatorisch wirkende Leinwände.
In den 1930er-Jahren werden die Gemälde kleinteiliger, naturalistischer. Die starken, expressionistischen Farben werden zurückgenommen, das Kolorit wird kreidig-trocken. Die Bilder jener Zeit zeigen idyllische Vorgärten oder aber Arbeitslose: Paul Camenisch oszilliert zwischen der gemalten bürgerlichen Idylle und dem politisch engagierten, gesellschaftskritischen Bild. Doppelbödig ist seine grossformatige Diskussion im Atelier von 1941–43 (Chur, Bündner Kunstmuseum): In ein kultiviertes bürgerliches Interieur bricht die Realität des Krieges ein. Die Aufmerksamkeit der dort versammelten Runde gilt einerseits einem zeitlos wirkenden Gemälde auf einer Staffelei – der Künstler, der daneben steht, trägt die Züge Paul Camenischs.
Gleichzeitig sind die Opfer des Krieges als Bild im Bild präsent, und auf einer aufgefalteten Europakarte kann der aktuelle Frontverlauf studiert werden. Nach seiner politisch motivierten Absetzung als Präsident der Gruppe 33 zu Beginn der 1950er-Jahre lebt Camenisch künstlerisch und persönlich in zunehmender Isolation. Ein erster ideologisch unverstellter Blick auf das vielschichtige Werk von Paul Camenisch, auf seinen eigenwilligen Beitrag zur Schweizer Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, wird erst mit der Ausstellung in der Kunsthalle Basel 1970 möglich.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Marco Obrist, 1998, aktualisiert 2015 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023388
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