Lot 3211* - A156 19th Century Paintings - Friday, 01. April 2011, 05.00 PM
CARL SPITZWEG
(1808 Munich 1885)
Fahrende Komödianten
Öl auf Leinwand.
Unten rechts signiert: S im Rombus.
32,5 x 38,2 cm.
Provenienz: - Karl (Carlos) Wilhelm Philipp Fürst von Auersperg 1843 direkt vom Künstler erworben. - durch Erbfolge an damalige Besitzer bis 1993. - Auktionshaus Koller, Zürich 8./10.9.1993, Los 79. - Privatbesitz, Deutschland. Literatur: - Roennefahrt, Günther: Carl Spitzweg. Werkverzeichnis, München 1960, S. 291, Nr. 1390. - Wichmann, Siegfried: Carl Spitzweg. Kunst, Kosten und Konflikte, Frankfurt/Berlin 1991, S. 309. - Wichmann, Siegfried: Carl Spitzweg. Reisende Komädianten. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 1995, S. 10ff., Bayer. Staatsbibkl. München, Inv. Nr. Ana 656 SW 84. - Wichmann, Siegfried: Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, Nr. 307, S. 200-201. Mit einem ausführlichen Gutachten von Prof. Siegfried Wichmann vom 12.12.1995. Gleich wird sich der Wagen wieder in Gang setzen. Die Achsen werden ächzen, die Stahlbänder der grossen Räder knirschend über die Steine des Wegs reiben, der Esel sich nach dem verlockend hingestreckten Kranz strecken. Als hätte Carl Spitzweg einen Film angehalten, sind die Fahrenden Komödianten in ihren Bewegungen gefroren. Auf den ausgedehnten Reisen durch Italien, Frankreich und Deutschland, die der gelernte Apotheker Spitzweg nach Abschluss seines naturwissenschaftlichen Studiums unternommen hat, muss er mehrfach solchen Theatergruppen begegnet sein. Siegfried Wichmann, Autor des Spitzweg-Werkverzeichnisses, vermutet, dass Spitzweg erstmals 1836 auf seiner Reise durch Italien in der Nähe des Vesuvs fahrende Komödianten beobachten konnte. Mit neun sorgfältig ausarbeiteten Zeichnungen und Aquarellen erprobte der Künstler verschiedene Varianten und Ausschnitte des Motivs, verwarf seine Entwürfe teilweise aber wieder. Beispielsweise setzt eine Farbskizze, die wohl um 1836 entstanden ist, die ganze Gruppe in eine weite Landschaft mit dem Vesuv im Hintergrund. Die fahrenden Komödianten im schliesslich resultierenden Ölgemälde ziehen aber wohl eher durch eine fränkische Gegend, wie die sanften Höhenlagen und die Ortschaft auf der rechten Bildseite mit den Dopppeltürmen einer Kirche vermuten lassen. Auf einer ebenfalls um 1836 zu datierenden Bleistift-Zeichnung tritt hinter dem Wagen eine Lokomotive hervor, die in entgegengesetzter Richtung fährt. Offenbar erwog Spitzweg, diese dem Eselkarren zu kontrastieren, entschied sich aber dann doch dafür, der Schauspielertruppe nicht den Effekt zu nehmen und sie lieber alleine darzustellen. Unverändert liess er dagegen die Ausrichtung der Gruppe von links nach rechts und die nach rechts zunehmend akzentuierte optische Verkürzung der Figuren, insbesondere des Esels. Das Gemälde entwickelt dadurch einen beachtlichen Tiefensog, der den Blick des Betrachters schliesslich in die Ebene auf die Stadt zieht. Betont wird dieser Effekt durch weitere Diagonalen der Hügelgruppe links, des Wegverlaufs und durch die Bepflanzung. Besonders beachtenswert sind die feinen Farbnuancen, mit denen Spitzweg die schimmernden Oberflächen von Kleidung und Gerätschaften für uns fast haptisch erfahrbar darstellt und mit denen er dem Himmel eine einzigartige Transparenz verleiht. Werkverzeichnisautor Wichmann hält das Gemälde entsprechend auch für ein bedeutsames Gemälde der deutschen Genremalerei um 1835/40 und eines der wichtigsten innerhalb des Spitzweg-Oeuvres. Aus den sorgsam vorbereitenden Zeichnungen u.a. der Familie in der linken Bildhälfte, der Wagengruppe und des Mannes mit dem Kranz erarbeitete Spitzweg schliesslich zwei Ölgemälde. Die ältere, etwas steif wirkende Version, bietet er 1838/39 im Kunstverein Königsberg an und verkauft es dort für 78 Gulden (laut Werkverzeichnis von Wichmann aus dem Jahr 2002 in der Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt). Unsere Fahrenden Komödianten kann er 1841 zunächst nicht über den Kunstverein Hannover absetzen. Nachdem er das Bild allerdings 1842 überarbeitet, insbesondere die umgebende Landschaft durch Farbveränderungen überzeugender dargestellt hatte, bietet er es 1843 im Prager Kunstverein an und findet dort in Karl (Carlos) Wilhelm Philipp Fürst von Auersperg einen sehr illustren Käufer. Dieser Chef des österreichischen Adelsgeschlechts der Auersperg aus dem Uradel sollte später als prominenter Gegner Fürst Metternichs und Ministerpräsident der österreichischen Reichshälfte von Österreich-Ungarn 1867-1868 Geschichte schreiben. Selbst feinsinniger Kunstkenner, erkannte Carlos Fürst von Auersperg die Qualität des Bildes und erwarb es für 120 Gulden auf Empfehlung des Fürsten von Rohan-Guéméné für seine Gattin, die Fürstin Auersperg. Ausschlaggebend für die Kaufentscheidung des fürstlichen Paares war neben dem Können des Malers das Motiv des Spitzwegschen Gemäldes. Die Fürstin war nämlich eine leidenschaftliche Verehrerin des Singspiels und beteiligte sich selbst an Stegreifspielen der Familie, und auch ihr Gatte war dem Theater sehr gewogen. Das Theaterspiel hat in Europa eine lange Tradition. Während der Renaissance wurden mittelalterliche Mysterienspiele und die alten griechischen Tragödien neu aufgegriffen, und im nördlichen Italien entstand an den Hoftheatern eine neue Form der Komödie, die commedia erudita, der insbesondere Niccolò Macchiavelli neue Impulse verlieh. In Frankreich errichtete der absolutistische König Ludwig XIV. per Kabinettsbefehl 1680 die Comédie-Française, in der der französische Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker Molière wirkte. Auch auf diese Quellen bezogen sich die fahrenden Schauspieler, die oft unter grossen Mühen und mit beachtlicher Qualität liebevoll ausgestattete Stücke darboten. Hoheitliches Wohlwollen mögen sie also gehabt haben, die Schauspieler, und das Bürgertum der Städte liess sich auf den Marktplätzen gerne von ihnen unterhalten. Ein mühevolles Geschäft muss es trotzdem gewesen sein. Denn nur einen Esel kann sich die Truppe auf unserem Bild offensichtlich leisten, und der ist nur noch mit der "Karotte" oder vielmehr einem Kranz vor der Nase dazu zu bewegen, den Wagen über den kleinen Hügel Richtung Städtchen zu ziehen. In der rechten Bildecke betonen eine grössere Distelstaude und die dürren Gräser die Kargheit dieser Existenz. Sie alle waren wohl schon lange unterwegs und sind jetzt gegen Abend müde: Genau in der Bildmitte ist dem im Wagen sitzenden kleinen Jungen im Schlaf der Kopf nach vorne gekippt, das Mädchen daneben hat sich in den Arm seiner Mutter geschmiegt. Am Schluss des Zugs lässt sich der Kleine strauchelnd von den Rockschössen des Vaters ziehen, während sich vor ihm zwei Männer schiebend gegen den Wagen stemmen. Ideale Reisekleidung haben sie alle nicht, und es war tatsächlich üblich, dass die Komödianten ihre Kostüme trugen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die auf dem Wagen aufgetürmten Requisiten wie die grosse rot-weisse Trommel dürfte ebenfalls gute Werbung gemacht haben. Die tiefe Begeisterung für das Theater ist jedenfalls den Erwachsenen ins Gesicht geschrieben. Der Vater links probt, von der Frau mit Schutenhut aufmerksam beobachtet, mit dem Manuskript in der Hand seine Rolle; ganz rechts lockt der Prinzipal der Gruppe den Esel mit grosser Geste. Den Betrachtern bietet er seinen Körper in klassischer Dreiviertelansicht. In Gedanken hat er wohl den Lorbeerkranz der römischen Kaiser in der Hand und steht nicht auf einem staubigen Feldweg, sondern auf der grossen Bühne.
CHF 200 000 / 300 000 | (€ 206 190 / 309 280)
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