HALLER, HERMANN
* 24.12.1880 BERN, † 23.11.1950 ZÜRICH
Plastiker.
Hermann Haller entstammt einer angesehenen Berner Familie. Sein Vater, Friedrich Berchtold Haller, war Begründer und Direktor des Eidgenössischen Patentamtes für geistiges Eigentum in Bern. Hallers Mutter war Lehrerin. Sie galt als besonders autoritär und stand allen künstlerischen Neigungen ihres Sohnes ablehnend gegenüber. Ihren beiden Söhnen liess sie kaum Freiheiten. Diese in jungen Jahren erfahrene Härte und Strenge war sicher prägend für Hermann Hallers späteren Drang nach Freiheit und Ungebundenheit.
Eine 1894 in Vevey gezeigte Ausstellung mit Gemälden Ferdinand Hodlers wird zum entscheidenden Erlebnis im Leben des 14-jährigen Gymnasiasten: Hermann Haller entscheidet sich, Maler zu werden. Hodler ist es auch, der durch Zuspruch bei den Eltern bewirkte, dass Haller 1898 in Stuttgart das Studium der Architektur aufnehmen kann. Haller übt sich jedoch vielmehr im Malen und Aktzeichnen und nimmt schon im Herbst 1899 das Studium der Malerei an der Privatschule von Heinrich Knirr in München auf. Hier trifft er auch seinen Mitschüler aus der Parallelklasse des Berner Gymnasiums, Paul Klee, wieder. Knirrs Schule gilt als Vorbereitung für die Aufnahme an die Kunstakademie München, die Haller und Klee 1901 als Schüler Franz von Stucks besuchen. Im Herbst 1902 Meisterschüler von Leopold von Kalckreuth an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart. Bekanntschaft mit Hans Reinhart, dessen Vater, der Unternehmer, Sammler und Mäzen Theodor Reinhart aus Winterthur, Hallers menschliche wie künstlerische Entwicklung entscheidend fördert. 1904 durch Theodor Reinhart ermöglichter Romaufenthalt. Dort Ateliergemeinschaft mit Karl Hofer. Noch im gleichen Jahr Hinwendung zur Bildhauerei. 1907 Artikel von Julius Meier-Graefe in der führenden europäischen Kunstzeitschrift Kunst und Künstler über die Plastiken Hallers und die Gemälde Hofers. Beide Künstler werden dadurch mit einem Schlag bekannt. Hermann Haller entwickelt sich schnell zu einem gefragten Künstler. 1908 Auftrag des Kunstsammlers und -mäzens Karl Ernst Osthaus für den Hohenhof in Hagen (Relieffiguren in Stein). 1909 Einzelausstellung bei Paul Cassirer in Berlin.
Im Januar 1909 Heirat mit der Sängerin Gerda von Wätjen aus Düsseldorf, einer Enkelin des Malers Benjamin Vautier und Schwester des Malers Otto von Wätjen. September 1909 Geburt des Sohnes Peter. November 1909 bis zum Kriegsausbruch 1914 Übersiedlung in die Kunstmetropole Paris. Haller gehört zum Künstlerkreis des Café-du-Dôme. 1910 lehnt er eine Professur an der Kunstschule in Weimar ab.
Ab 1914 lebt und arbeitet Hermann Haller in Zürich. Im Juni 1917 wird die Malerin und Kunstgewerblerin Felicitas Trillhaase, Tochter des naiven Malers Adalbert Trillhaase, genannt Chichio, Hallers zweite Frau. Sie steht ihrem Mann zu zahlreichen wichtigen Plastiken Modell. Haller gilt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als der bedeutendste Plastiker der Schweiz und als einer der herausragendsten im deutschen Sprachgebiet. Zwischen 1909 und 1918 zahlreiche Aufträge für Architekturplastiken in Zürich, Winterthur, Bern und Luzern. Seit Mitte der 1920er-Jahre Park- und Grabfiguren von teilweise überlebensgrossem Format. 1921–23 Wintermonate in Berlin. Ab 1919/20 neue Lebensgemeinschaft mit der Bildhauerin Hedwig Braus, Tochter des Heidelberger Anatomen Hermann Braus. Die junge Künstlerin wurde Hallers Schülerin, Modell und 1945 dessen dritte Frau.
1933 Ehrendoktortitel der Universität Zürich, 1949 Kunstpreis der Stadt Zürich. 1951 Gedächtnisausstellung im Kunsthaus Zürich. Eigentlich hatte Hermann Haller Maler werden wollen. Nach vielversprechenden Anfängen (Selbstbildnis, 1900, Kunstmuseum Winterthur) wechselt er jedoch 1904 in Rom zur Plastik über: «Malen ist vielleicht geistreicher, aber dafür weniger absolut». Schon im ersten Jahr seiner Auseinandersetzung mit dem neuen Medium entstand die kraftvolle, ganz eigenständige Bronze Schreitende (1905, Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten, Winterthur). Sie ist, wie auch die meisten seiner später modellierten Plastiken, die Reaktion auf ein ganz persönliches Erlebnis.
Das zentrale Thema nahezu aller Werke Hermann Hallers ist die erotische Spannung zwischen den Geschlechtern. Sein Material ist der weiche, knetbare Ton. Arbeiten in Holz oder Stein bleiben eine Ausnahme. Hallers Œuvre verrät weder eine intensive Auseinandersetzung mit seinen grossen Vorbildern Auguste Rodin, Aristide Maillol und Wilhelm Lehmbruck, noch eine künstlerische Verarbeitung aktueller Probleme: «Ich selbst suche die vereinfachte Form dessen zu geben, was mich bewegt. Ich suche eine Synthese der Form von innen heraus». Erstaunlich selbstbewusst und unabhängig von Zeitströmungen modelliert Haller Frauenfiguren, die bei aller Formenstrenge eine Heiterkeit, Unkompliziertheit und Wärme ausstrahlen, wie sie in dieser Intensität vielleicht bei keinem anderen Plastiker seiner Zeit zu finden ist: «Je sculpte par cœur». (Mädchen mit über dem Kopf gekreuzten Armen, 1913, Kunstmuseum Winterthur).
In Paris, der zweiten Station seiner künstlerischen Entwicklung, entstehen Arbeiten, die Hallers Auseinandersetzung mit Problemen der räumlichen Darstellung von Bewegung bezeugen (Jack Johnson in Boxerstellung, 1915, Zürich, Atelier Hermann Haller). In den 1920er-Jahren erreicht der Künstler mit Plastiken wie dem poetischen Mädchen ohne Arme (1920, Köln, Museum Ludwig) oder der souveränen, an Alberto Giacometti erinnernden Negerin (1922, Berlin, Georg-Kolbe-Museum) einen Höhepunkt, der gleichzeitig das Ende seiner eigentlichen Entwicklung markiert. Abstrahierende Versuche des Künstlers (Marie Laurencin ohne Haare, 1920, Zürich, Atelier Hermann Haller) bleiben ohne konsequente Weiterführung.
Die Aufgabe, das Denkmal für den Zürcher Bürgermeister Hans Waldmann (1932–37) zu entwerfen, löst Haller nicht mit intellektueller Neugier, sondern spontan und höchst individuell: «Hans Waldmann ist ein Symbol meiner eigenen Abenteuerlust». In den Arbeiten der letzten beiden Jahrzehnte ist eine zunehmende Unsicherheit und Phase der Ermüdung festzustellen. Hallers Alterswerk hat keine Innovationskraft; gegen Ende der 1940er-Jahre gelingen ihm jedoch einige sensibel modellierte Porträts, die von einer tiefen Zuneigung des Künstlers gegenüber seinen Weggefährten Zeugnis ablegen (Erich Katzenstein, 1947).
Hermann Haller ist ein unverwechselbarer Vertreter der deutschsprachigen, um 1880 geborenen Bildhauergeneration, die sich mit einer neuen Freiheit und Unbefangenheit mit dem Thema der menschlichen Figur auseinandergesetzt hat. Obwohl er nicht zu den Erneuerern der Plastik gehört, gebührt ihm ein fester Platz in der Entwicklungsgeschichte der Bildhauerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Maria Apel, 1998, aktualisiert 2011 ;https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000054
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HERMANN HALLER
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