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Lot 1030 - A210 Decorative Arts - Donnerstag, 19. September 2024, 14.00 Uhr

STELLKREUZ MIT MIKROSCHNITZEREI

Griechisch/Spätbyzantinisch, Letztes Viertel 16. Jh. Georgios Laskaris (aktiv 1538–1583) und Werkstatt.
Buchsbaumholz auf zylindrischem Zapfen allseitig intrikat und teils durchbrochen geschnitzt mit neutestamentarischen Szenen, unterteilt in vier Registern sowie mit altgriechischen Tituli über jeder Szene. Die Schmalseiten ebenso gearbeitet. Auf späterem mit Stoff bezogenen Sockel.
H ohne Sockel 23,3 cm, L 9,9 cm.


Einige Fehlstellen, ein grösserer Ausbruch im unteren Register im Bereich des Zapfens, kleinere Spannungsrisse im Sockelbereich. Wohl ehemals auf turmförmigem Unterbau.

Provenienz:
- Holländischer Familienbesitz.
- Durch Erbschaft in heutigen Genfer Privatbesitz.

Obwohl kaum biografische Angaben zum Schnitzer Georgios Laskaris bis anhin bekannt sind, wissen wir anhand von 16 datierten Kreuzen (von denen acht zusätzlich signiert sind), dass der wohl aus Kreta stammende Künstler sie von 1538–1583 schuf. Aufgrund stilistischer Analogien und Vergleichsanalysen wird je nach Quelle ein Korpus von ca. 40–45 Kreuzen Georgios Laskaris und seiner Werkstatt zugeordnet, welche in zweiter und dritter Generation wohl von einer weitergeführten Werkstatt noch bis in ins letzte Drittel des 17. Jh. produziert wurden. Die mittelgrossen, mikrogeschnitzten Kreuze zeichnen sich typischerweise durch einen in mehreren Registern unterteilten, domartigen Unterbau aus, von dem aus per Zapfen ein lateinisches Kreuz ragt. Der Aufbau dieser Kreuze folgt in der Regel einem ähnlichen Schema, bei dem der Unterbau häufig alttestamentarische Szenen zeigt, wohingegen das Kreuz selbst, welches allseitig geschnitzt und ebenfalls in mehreren Registern unterteilt ist, neutestamentarische Szenen aus dem Leben Jesu birgt. Die religiösen Szenen werden (bis auf einzelnen Ausnahmen in Lateinisch) von griechischen Tituli begleitet. In einer linguistischen Analyse von Professor Myrtali Acheimastou-Potamianou wird suggeriert, dass Georgios Laskaris, anders als bisher angenommen, nicht etwa auf dem Berg Athos tätig war, sondern auf Kreta, wohl in der Stadt Chandax (heute Heraklion), zu verorten sei. Laskaris Kreuze reihen sich dennoch in die spätbyzantinische Bildtradition ein, so wie sie in den Klöstern der Bergregion Athos auf dem griechischen Festland praktiziert wurde. Es ist anzunehmen, dass Laskaris mit den künstlerischen Erzeugnissen jener Region vertraut war.

Die Funktion solcher mikrogeschnitzten Kreuze muss im Kontext privater Devotion und heimischen religiösen Riten gesehen werden. Sheila Campbell bezweifelt in ihrer ausführlichen Studie zum ‘Malcove Kreuz’ aus der Sammlung der Universität Toronto, welches ebenfalls Laskaris zugewiesen wird, dass solche Kreuze aufgrund der intrikaten Details der Schnitzerei und der intimen Grösse eine Rolle im öffentlichen Glaubensritus zukamen. Anders als Kreuze, welche in der orthodoxen Liturgie beispielsweise ins Weihwasser getaucht wurden, um die anwesenden Gläubigen während der Messe zu segnen, war unser Typus von Kreuz für die stille Privatandacht, etwa als "aide-memoire" zur Erinnerung an die Heilsgeschichte konzipiert. Im Unterschied zur zeitgleichen okzidentalen Kunst der Renaissance in Europa, welche auf Emotionalität, Pathos und Exaltation des Betrachtenden setzt, geht es bei dieser spätbyzantinischen Kunst vielmehr darum, die bereits bekannten biblischen Episoden zu verinnerlichen. Laskaris Kreuze sind weniger darauf bedacht, erzählerische Szenen oder emotionale Inhalte darzustellen. Sie zeichnen sich vielmehr durch ihren statischen, untheatralischen und kondensierten Charakter aus. Atemberaubend bleibt die Feinheit der Schnitzerei und die Ausarbeitung der Details, gerade wenn man sich vor Augen führt, dass die Qualität der zur Verfügung stehenden Werkzeuge und die Lichtverhältnisse nicht vergleichbar mit modernen Standards ist.
Unser unveröffentlichtes Kreuz kann aufgrund der stilistischen und qualitativen Merkmale der Schnitzerei, der ikonographischen Verwandtschaft, der Konstruktion und der Disposition der Szenen dem Oeuvre von Georgios Laskaris zugeordnet werden. Aufgrund des fehlenden Unterbaus kann indes keine Signatur oder Datierung diese Zuschreibung untermauern. Unser wiederentdecktes Kreuz stellt somit eine kunsthistorisch wertvolle Ergänzung zum vorhandenen Oeuvre dar. Wir danken Herrn lic. oec. et iur. Ueli Dubs, Kenner und Spezialist von Georgios Laskaris, für die Bestätigung der Authentizität (Zürich, 24. Juni 2024).

Literatur:
- Victor H. Elbern: Ein Kreuz des Georgios Laskaris in den Berliner Museen, In: Jahrbuch der Berliner Museen, Berlin 2003, Bd. 45, S. 65–76.
- Myrtali Acheimastou-Potamianou: Wood carved crosses of the 16th Century by George Laskaris, In: Christian Archeological Society, Studies of Archeology and Art, Athens 2003.
- Sheila Campbell: A 16th Century Italo-Byzantine Cross, In: Gorgias Eastern Christian Studies, Piscataway, New Jersey USA 2012, Bd. 32, S. 1–50.

Vgl. für ähnliche Stellkreuze von Georgios Laskaris, seiner Werkstatt oder aus dem Umkreis (Auswahl):
- Staatliche Museen Berlin, Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst (Inv.-Nr. 10/68). Jenes Exemplar ist auf der Standfläche des turmförmigen Sockels datiert und signiert Georgios Laskaris 1566.
- Metropolitan Museum, New York (Inv.-Nr. 2019.559a, b). Jenes Exemplar mit Unterbau.
- Victoria and Albert Museum, London (Inv.-Nr. A.2-1932 bzw. A.3-1932). Jenes Exemplar mit Unterbau und einem Gipsabguss der Inschrift auf der Standfläche des turmförmigen Sockels datiert und signiert Giorgios Lascaris, 1580.
- Schweizer Privatbesitz als Leihgabe im Museum Disentis, Graubünden, Schweiz (ohne Inventarnummer). Jenes Exemplar ist auf der Standfläche des turmförmigen Sockels datiert und signiert Georgios Laskaris 1569.
- Collezione Cagnola, Gazzada Varese, Italien (ohne Inventarnummer). Jenes Exemplar stellt mit der Datierung 1583 das letzte gesicherte Werk von Georgios Laskaris dar. Der Stil dieses Kreuzes ist rigider und simpler in der Gestaltung der Ornamentik.
- Museo Diocesano, Feltre (ohne Inventarnummer). Jenes Exemplar datiert 1542 und mit einem Pelikanaufsatz versehen.
- wohl städtische Sammlung (?), Sant’Oreste, Rom (ohne Inventarnummer). Jenes Exemplar datiert 1546 und mit einem Pelikanaufsatz versehen.
- Lillian Malcove Collection, Art Centre, University of Toronto (ohne Inventarnummer). Jenes Exemplar ohne Inschrift oder Datierung.
- Griechischer Privatbesitz, gekauft bei Koller Auktionen Zürich, 21. September 2023, Lot 1062, aus Westschweizer Privatbesitz, Château de Courtaney à Avry, Fribourg.
- Wallace Collection, London (Inv.-Nr. S283). Jenes Exemplar wird als "Griechisch, Spätes 16. Jh./Anfang 17. Jh." beschrieben.

CHF 20 000 / 30 000 | (€ 20 620 / 30 930)