Lot 1191 - A208 Decorative Arts - Donnerstag, 21. März 2024, 13.30 Uhr
GOLDEMAILDOSE MIT SINGVOGELAUTOMAT, UHR UND KLEINEM WALZENSPIELWERK
Genf, um 1810-25. Das Werk Gebrüder Rochat (Rochat Frères, tätig in Genf 1810-1825), Meistermarke IGRC für Rémond Lamy Mercier & Co.
Gold guillochiert und mit kobaltblauer, transluzider Emaille überzogen. In Rechteckform, die Ecken gerundet und mit floralen Motiven in graviertem Gold und weisser Emaille. Gerahmt von Blattzierfriesen in weisser Emaille und Gold. Aufklappbarer Deckel, in Perlenfries gerahmt. Darunter eine mit Blumen gravierte und weiss/blauer Emaille-Abdeckung mit den Aufzugslöchern für den Singvogelautomaten sowie ein kleines Walzenspielwerk. Der Deckel mittig mit ovaler, von Perlenfries gerahmter Durchbrechung, bedeckt von ovalem Deckel mit Emailmalerei, Darstellung eines verliebten Paares. Dieser Deckel öffnet über einen Schiebehebel und gibt den pfeifenden und sich bewegenden Vogel frei. In der aufklappbaren Front eine kleine Uhr mit weissem Emailzifferblatt in Perlen gesäumter Lünette, das Werk mit 4/4-Stundenrepetition und Sekundenzeiger. Seitlich ein weiterer aufklappbarer Deckel zur Verwahrung des Aufzugsschlüssels.
8,4 × 6,2 × 2,8 cm.
Befestigung der Verbindung Hebehebel des Vogels mit dem Schieber gebrochen. Singvogelwerk klemmt. Uhrwerk zu revidieren. Emaillierung mit geringen Fehlstellen.
Provenienz:
- Galerie Koller Zürich, November 1964, Lot 1328.
- Privatbesitz, Schweiz (in obiger Auktion erworben).
Vogelautomaten aus Genf gehörten zu den exquisitesten Objekten, die man im 19. Jahrhundert erwerben konnte. Solche juwelenartigen Kreationen sind das Ergebnis einer Kombination aus feinster Goldschmiedearbeit und dem komplexen Mechanismus eines Uhrmachers. Sie lassen einen bunt gefiederten Vogel aus einem fein gravierten Goldnest auftauchen und energisch zwitschern während er Schnabel und Flügel bewegt. Sie waren sehr begehrt, über die Grenzen der Schweiz und Europas hinaus bis in den Fernen Osten und nach Nordamerika.
Einige der schönsten Exemplare sind in den wichtigsten Museen dieses Genres zu sehen, wie dem Musée de L'Horlogerie et de l'Emaillerie, dem Patek Philippe Museum in Genf und in der Dauerausstellung der Sammlung Edouard und Maurice Sandoz im Musée de l'Horlogerie du Locle, Schweiz.
Das Uhrwerk trägt die FR-Marke, die Meistermarke der berühmten Gebrüder Rochat, etablierte Meister der Uhr- und Spielwerke für Singvogelautomaten. Bevor sie sich zwischen 1800 und 1835 in Genf selbstständig machten, wurden sie zunächst von ihrem Vater Pierre in Le Brassus im Kanton Waadt in der Schweiz ausgebildet und waren später als Uhrmacher bei Jaquet-Droz und Leschot angestellt. Die talentierten Brüder François Elisée, Frédéric und Samuel-Henri Rochat gehörten schon bald zur Elite der besten Hersteller von Singvogelautomaten und Automatikuhren.
Das aufwändige und äusserst fein gearbeitete Goldgehäuse mit transluzidem Email und applizierten Perlen (vor allem für den chinesischen Markt) wurde von dem berühmten Goldschmied Jean-Georges Rémond (1752–1830) gefertigt, der ursprünglich aus Hanau stammte und sich einen hervorragenden Namen für exquisite Goldarbeiten für Uhren gemacht hatte, nachdem er 1783 seine erste Firma "Georges Rémond & Cie" in Genf gegründet hatte. Bis 1806 hatte er bereits mehrere weitere Unternehmen gegründet und beschäftigte 100 Mitarbeiter. Seine Kreationen wurden in Paris und London ausgestellt und an Kunden in Deutschland, Russland, der Türkei und China verkauft.
Die Entwicklung mechanischer Singvogelautomaten geht auf einen amüsanten Modetrend des 17. Jh. zurück, dem die Damen der Gesellschaft folgten. Sie pefektionierten die Aufzucht und das Trainieren von Kanarienvögeln und betrieben das Kaufen und Verkaufen der Vögel nahezu als Sport, obwohl der Handel für Frauen der Oberschicht zu dieser Zeit verpönt, wenn nicht sogar streng verboten war. Ursprünglich wurden die Vögel von den Kanarischen Inseln importiert, aber später aufgrund der grossen Nachfrage, auch in Europa gezüchtet.
Die Vögel aufzuziehen und ihnen das Singen beizubringen, war eine meisterhafte Disziplin, die viel Zeit und Hingabe erforderte. Kanarienvögel singen von Natur aus, aber ihr Gesang kann erheblich verbessert werden, indem man sie wiederholt süssen Melodien aussetzt. Sie müssen schon in jungen Jahren von anderen Kanarienvögeln isoliert werden, und es muss ihnen regelmässig Musik vorgespielt werden, ursprünglich mit einer Art Flöte, die Flageolett genannt wird. Die Kanarienvögel lernen die Lieder nicht Note für Note, sondern ahmen die Tonart und die Tonfolge sehr genau nach - wenn die Tonart für sie zu hoch ist, verletzen sie sich offenbar bei dem Versuch, sie zu imitieren.
Jean-Claude Hervieux de Chanteloup (1683–1747), ein Naturforscher und französischer Ornithologe, beschreibt die Ausbildung von Kanarienvögeln ausführlich in seinem massgeblichen Buch „Nouveau Traité Des Sérins De Canarie, contenant La manière de les connoître & de les élever...” Paris, Fournier 1709 (Bibliothèque nationale de France, Catalogue général). In den Kapiteln 28 und 29 erklärt er, wie man Kanarienvögeln mit Hilfe einer Vogelorgel, der sogenannten Serinette (nach „serin”, dem altfranzösischen Wort für Kanarienvogel), das Singen beibringen kann. Diese Instrumente, die kleinen Drehorgeln ähneln, wurden speziell dafür erfunden, dass Kanarienvogelbesitzer ihren Vögeln das Singen beibringen konnten, ohne ihnen die Flöte vorspielen zu müssen. Dies war sicherlich ein Geschenk des Himmels für diejenigen, die nicht die Dienste eines professionellen Kanarienvogeltrainers wie de Chanteloup in Anspruch nehmen konnten, der empfahl, fünf oder sechs Lektionen pro Tag zu geben.
Die Vogelorgel (Serinette) wurde bald mit den Vogelautomaten kombiniert, die oft in vergoldeten Käfigen präsentiert wurden. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Serinette durch einen weitaus raffinierteren Mechanismus ersetzt, der mit Hilfe eines Schiebekolbens eine lebensechtere Vogelmelodie erzeugte und dessen Entwicklung Jaquet-Droz und Sohn zugeschrieben wird. Dies ermöglichte die Herstellung kleinerer und präziserer Uhrwerke wie das hier angebotene, das sich parallel zur Präzisionsuhrmacherei entwickelte, die in den kommenden Jahrhunderten zu einem wichtigen Element der Schweizer Wirtschaft und des Ansehens der Schweiz werden sollte (Vgl. Sharon und Christian Bailly, Flights of Fancy. Mechanische Singvögel, 2001).
Provenienz:
- Galerie Koller Zürich, November 1964, Lot 1328.
- Privatbesitz, Schweiz (in obiger Auktion erworben).
Vogelautomaten aus Genf gehörten zu den exquisitesten Objekten, die man im 19. Jahrhundert erwerben konnte. Solche juwelenartigen Kreationen sind das Ergebnis einer Kombination aus feinster Goldschmiedearbeit und dem komplexen Mechanismus eines Uhrmachers. Sie lassen einen bunt gefiederten Vogel aus einem fein gravierten Goldnest auftauchen und energisch zwitschern während er Schnabel und Flügel bewegt. Sie waren sehr begehrt, über die Grenzen der Schweiz und Europas hinaus bis in den Fernen Osten und nach Nordamerika.
Einige der schönsten Exemplare sind in den wichtigsten Museen dieses Genres zu sehen, wie dem Musée de L'Horlogerie et de l'Emaillerie, dem Patek Philippe Museum in Genf und in der Dauerausstellung der Sammlung Edouard und Maurice Sandoz im Musée de l'Horlogerie du Locle, Schweiz.
Das Uhrwerk trägt die FR-Marke, die Meistermarke der berühmten Gebrüder Rochat, etablierte Meister der Uhr- und Spielwerke für Singvogelautomaten. Bevor sie sich zwischen 1800 und 1835 in Genf selbstständig machten, wurden sie zunächst von ihrem Vater Pierre in Le Brassus im Kanton Waadt in der Schweiz ausgebildet und waren später als Uhrmacher bei Jaquet-Droz und Leschot angestellt. Die talentierten Brüder François Elisée, Frédéric und Samuel-Henri Rochat gehörten schon bald zur Elite der besten Hersteller von Singvogelautomaten und Automatikuhren.
Das aufwändige und äusserst fein gearbeitete Goldgehäuse mit transluzidem Email und applizierten Perlen (vor allem für den chinesischen Markt) wurde von dem berühmten Goldschmied Jean-Georges Rémond (1752–1830) gefertigt, der ursprünglich aus Hanau stammte und sich einen hervorragenden Namen für exquisite Goldarbeiten für Uhren gemacht hatte, nachdem er 1783 seine erste Firma "Georges Rémond & Cie" in Genf gegründet hatte. Bis 1806 hatte er bereits mehrere weitere Unternehmen gegründet und beschäftigte 100 Mitarbeiter. Seine Kreationen wurden in Paris und London ausgestellt und an Kunden in Deutschland, Russland, der Türkei und China verkauft.
Die Entwicklung mechanischer Singvogelautomaten geht auf einen amüsanten Modetrend des 17. Jh. zurück, dem die Damen der Gesellschaft folgten. Sie pefektionierten die Aufzucht und das Trainieren von Kanarienvögeln und betrieben das Kaufen und Verkaufen der Vögel nahezu als Sport, obwohl der Handel für Frauen der Oberschicht zu dieser Zeit verpönt, wenn nicht sogar streng verboten war. Ursprünglich wurden die Vögel von den Kanarischen Inseln importiert, aber später aufgrund der grossen Nachfrage, auch in Europa gezüchtet.
Die Vögel aufzuziehen und ihnen das Singen beizubringen, war eine meisterhafte Disziplin, die viel Zeit und Hingabe erforderte. Kanarienvögel singen von Natur aus, aber ihr Gesang kann erheblich verbessert werden, indem man sie wiederholt süssen Melodien aussetzt. Sie müssen schon in jungen Jahren von anderen Kanarienvögeln isoliert werden, und es muss ihnen regelmässig Musik vorgespielt werden, ursprünglich mit einer Art Flöte, die Flageolett genannt wird. Die Kanarienvögel lernen die Lieder nicht Note für Note, sondern ahmen die Tonart und die Tonfolge sehr genau nach - wenn die Tonart für sie zu hoch ist, verletzen sie sich offenbar bei dem Versuch, sie zu imitieren.
Jean-Claude Hervieux de Chanteloup (1683–1747), ein Naturforscher und französischer Ornithologe, beschreibt die Ausbildung von Kanarienvögeln ausführlich in seinem massgeblichen Buch „Nouveau Traité Des Sérins De Canarie, contenant La manière de les connoître & de les élever...” Paris, Fournier 1709 (Bibliothèque nationale de France, Catalogue général). In den Kapiteln 28 und 29 erklärt er, wie man Kanarienvögeln mit Hilfe einer Vogelorgel, der sogenannten Serinette (nach „serin”, dem altfranzösischen Wort für Kanarienvogel), das Singen beibringen kann. Diese Instrumente, die kleinen Drehorgeln ähneln, wurden speziell dafür erfunden, dass Kanarienvogelbesitzer ihren Vögeln das Singen beibringen konnten, ohne ihnen die Flöte vorspielen zu müssen. Dies war sicherlich ein Geschenk des Himmels für diejenigen, die nicht die Dienste eines professionellen Kanarienvogeltrainers wie de Chanteloup in Anspruch nehmen konnten, der empfahl, fünf oder sechs Lektionen pro Tag zu geben.
Die Vogelorgel (Serinette) wurde bald mit den Vogelautomaten kombiniert, die oft in vergoldeten Käfigen präsentiert wurden. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Serinette durch einen weitaus raffinierteren Mechanismus ersetzt, der mit Hilfe eines Schiebekolbens eine lebensechtere Vogelmelodie erzeugte und dessen Entwicklung Jaquet-Droz und Sohn zugeschrieben wird. Dies ermöglichte die Herstellung kleinerer und präziserer Uhrwerke wie das hier angebotene, das sich parallel zur Präzisionsuhrmacherei entwickelte, die in den kommenden Jahrhunderten zu einem wichtigen Element der Schweizer Wirtschaft und des Ansehens der Schweiz werden sollte (Vgl. Sharon und Christian Bailly, Flights of Fancy. Mechanische Singvögel, 2001).
CHF 60 000 / 100 000 | (€ 61 860 / 103 090)
Verkauft für CHF 206 250 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr