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Lot 1032 - A210 Decorative Arts - Donnerstag, 19. September 2024, 14.00 Uhr

KABINETT MIT "PIETRA DURA" UND "PIETRA PAESINA" EINLAGEN

Barock, Süddeutschland oder Böhmen, möglicherweise Augsburg um 1640/50.
Obstholz ebonisiert. Rechteckiger Korpus, allseitig mit von Flammleisten umrandeten Kassetten, auf gerader randprofilierter auskragender Sockelleiste. Seitliche Eisen-Traggriffe. Auf zusätzlichem Sockel mit gerader Zarge auf Eckkonsolen mit Quetschfüssen. Eingezogener und gestufter Aufsatz mit Klappdeckel, innen mit kleinem Spiegel besetzt. Die Doppeltüren innen mit altarförmiger Gliederung, eingelegt mit Pietra Paesina und verschiedenen Marmorarten wie Broccatello di Spagna, Giallo antico, Nero del Belgio, Rosso antico, Diaspri di Sicilia, Bianchi in opale, Fior di Pesco in runden bzw. ovalen Reserven. Architektonisch gegliedertes Innenleben mit zehn um eine Zentraltüre angeordneten Schubladen, flankiert von Marmorhalbsäulen. Die Halbsäulen als Deckel abnehmbar, je fünf geheime Schubladen verbergend. Die Türe öffnend auf zwei Schubladen über herausnehmbarem Fach vor acht Schubladen. Dekor in Form von Flammleisten und Blattvoluten, Pietra Paesina und Marmorreserven sowie Malachit-Cabochons. Die Schubladen innen mit roter Seide ausgeschlagen. Vergoldete und gravierte Beschläge und Griffe. 3 Schlüssel.
90 × 59 × 88 cm.


Diverse Risse und Fehlstellen. Verkittete Wurmgänge. Türen etwas verzogen. Pietra Paesina teils mit Rissen.

Provenienz:
Privatsammlung Schweiz.

Der Ursprung dieser Kabinettschränke ist sicherlich in Italien zu suchen, der Möbeltypus fand jedoch bald Verbreitung in ganz Europa. Auch als Kunstschreine oder Kabinettschrank bezeichnet, waren sie wichtiger Bestandteil des höfischen Mobiliars und bildeten wegen der kunstvollen Ausgestaltung selber Teil von Kunstkammern und dienten dort gleichzeitig zur Aufbewahrung besonderer Sammlungsobjekte.
Dank der zahlreichen ansässigen Kunsthandwerker entwickelte sich die süddeutsche Stadt Augsburg im 16. und 17. Jh. zu einem eigentlichen Zentrum für die Herstellung solcher Kabinette. Diese wurden in Ebenholz oder ebonisiertem Obstholz gefertigt und mit zahlreichen geometrischen Reserven in den verschiedensten Techniken und unter Verwendung unterschiedlichster Materialien reich verziert. Getriebenes und graviertes Silber, Schildpatt, Elfenbein, Halbedelsteine, Pietra Paesina oder auch auf Kupfer gemalte Stillleben oder figurative Darstellungen sollen als Beispiele genannt sein.
Die Aussenansicht des Möbels wurde oftmals ebenfalls reich verziert oder blieb relativ schmucklos, wie in diesem Fall (vgl. ein in der äusseren Gestaltung sehr ähnliches Kabinett bei: Dieter Alfter: Die Geschichte des Augsburger Kabinettschranks. Augsburg 1986, Abb. 81). Dem relativ schlichten Äusseren steht kontrastreich das opulent ausgestaltete Innenleben mit Schnitzwerk, Säulen und den diversen Steinintarsien in einem reichen architektonischen Aufbau, der auch die Innenseite der Türen umfasst. Das lässt darauf schliessen, dass das Stück als Exponat in geöffnetem Zustand konzipiert war.
In den Gestaltungsmitteln vergleichbare Augsburger Arbeiten sind abgebildet bei: Heinrich Kreisel: Die Kunst des deutschen Möbels. München 1968, Bd. I, Nr. 358, 361 und 363. Vergleichbare Arbeiten mit Steinintarsien, insbesondere mit dem auch als Ruinenmarmor bezeichneten Pietra Paesina sind neben Italien aber auch aus dem böhmischen Raum bekannt. Vgl. Kreisel 1968. Nr. 372.

Tafeln aus Pietra Paesina, auch Alberese, Dendritica oder Lineato d'Arno genannt, waren ursprünglich eine florentinische Praxis, Ausdruck eines Geschmacks, der in der Toskana seit der Zeit Cosimos II (1590–1621) besonders beliebt war. Die geheimnisvollen Maserungen dieses Naturphänomens regten nämlich die Neugier an der Natur und die künstlerische Sensibilität des späten 16. Jahrhunderts an.
Die verschiedenen Arten von Pietra Paesina wurden meist in kleine Platten geschnitten, die dann in Schränke und Schatullen eingesetzt wurden, manchmal aber auch mit anderen Steinen oder farbigem Marmor eingelegt, um reichere Kompositionen zu bilden und so Tischplatten zu schaffen. Pietra Paesina wurde sogar als Unterlage für Gemälde verwendet, indem man Figuren und andere Elemente hinzufügte, je nach Inspiration, die der Stein dem Künstler bot. Diese Praxis war nicht nur in der Toskana, sondern auch in Nordeuropa und Norditalien sehr beliebt.

CHF 60 000 / 100 000 | (€ 61 860 / 103 090)