Lot 3005 - A190 Gemälde Alter Meister - Freitag, 27. September 2019, 14.00 Uhr
MÄRKISCHE SCHULE, 1. HÄLFTE 15. JH.
Kreuzigungsszene.
Tempera und Goldgrund auf Holz.
42 × 30,2 cm.
Provenienz:
Schweizer Privatsammlung.
Das bislang unveröffentlicht gebliebene eindrückliche Tafelbild mit der Darstellung eines spezifischen Moments des Leidens Christi am Kreuz, welches kürzlich in einer Schweizer Privatsammlung entdeckt wurde, ist ein bedeutendes Beispiel der hochgotischen Malerei Italiens der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Visualisiert ist dabei nicht primär der Tod Christi am Kreuz, ins Zentrum gerückt ist vielmehr jener Moment als Christus mit geöffneten Augen, kurz vor dem letzten Atemzug seinen Lieblingsjünger Johannes seiner Mutter als Sohn anempfiehlt, und dieser so in die göttliche Familie aufgenommen wird. Dieser Idee wurde im 14. Jahrhundert in der dominikanischen Mystik eine besondere Rolle zugewiesen und ist im Bild durch eine Inschrift nach Johannes 19,27 bekräftigt, welche die letzten Worte Christi am Kreuz wiedergibt: "mulier, ecce filius tuus, (ecce mater tua )" (Weib, siehe hier: Dein Sohn und Du, sieh hier Deine Mutter).
Diese Bildidee wird subtil in Szene gesetzt, indem die Mutter Gottes den vor ihr niedergeknieten, weinenden Johannes bei der Hand nimmt und schützend ihren Mantel um ihn hält. Zeuge dieses emotionalen Geschehens ist der Heilige Franziskus von Assisi. Ans Kreuz geeilt und dieses umfassend, erweist er seine Verehrung.
Diese, in ihrer ikonographischen Besonderheit hervorzuhebende Tafel, ist ein typisches Beispiel der hybriden hochgotischen Bildwelt der märkischen Malerei des früheren 15. Jahrhunderts. Die Zuweisung an einen bestimmten Maler erweist sich als komplex, da sich hier die verschiedensten Strömungen der norditalienischen Malerei der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Elementen der zentralitalienischen Kunst vereinen. Vieles deutet darauf hin, dass das Bild im Bereich der Marken, vermutlich in der Region von Fabriano oder San Severino entstanden ist. In diesen Regionen bildete sich im 15. Jahrhundert eine Bildwelt, die den verspielten hochgotischen Stil Norditaliens, der Lombardei, der Visconti und des Veneto einerseits und die Eleganz der klassischen, plastischeren Formenwelt der Toskana andererseits zur Synthese verband.
Der uns interessierende Künstler hat dekorative Elemente der lombardischen Malerei aufgegriffen – etwa der mit dem Stichel eingeritzten Ranken übersäte Goldgrund – wie sie im Veneto durch Stefano da Verona (1374–1450) und Gentile da Fabriano (um 1370/1385–1427) vorgebildet waren. Aber auch gewisse Gesichtstypen, wie etwa das Profil des Franziskus, sind dem Formenrepertoire des Gentile da Fabriano entsprungen. So lässt sich Franziskus mit dem Profil von Gentile da Fabrianos Petrus Martyre des Marienkrönungs-Altars aus Valle Romita (Mailand Brera) vergleichen oder mit Interpretationen dieses Typus, wie sie im Werk des Venezianers Niccolò di Pietro (tätig um 1368–1415) zu greifen sind.
Die Emotionalität in den Gesichtern des weinenden Johannes und der Madonna erinnern an das Werk der Brüder Lorenzo und Jacopo Salimbeni (um 1374–nach 1420) aus San Severino. Das Atmosphärische in unserem Bild, wie das mystisch gleissende Licht in einer sonst dunklen Bildwelt, weist eindeutig ins Milieu des Gentile da Fabriano, der eines der schönsten derartigen Beispiele schuf (Franziskus empfängt die Stigmata, San Mamiliano del Traversetolo, Fondazione Magnani Rocca).
Die klare Observanz von Gentile da Fabrianos Kunst zeigt sich jedoch nicht allein in der erwähnten atmosphärischen Lichtregie, die sich über die Landschaft hinaus auch auf die Figuren und deren Draperien ausweitet (vgl. die Mäntel der Madonna und den Habitus des Franziskus). Sie spiegelt sich darüber hinaus auch in der Gestaltung der felsigen Landschaft und der reichen Blütenwiesen, deren einzelne Pflanzen durch den Lichteinfall wie goldene Irrlichter glänzen.
Ähnliches ist auch in der Kunst des in den Marken tätigen Jacobello del Fiore (tätig um 1400–1439), etwa in seinen Szenen aus der Legende der Heiligen Lucia, Fermo Pinacoteca Comunale, zu erkennen. Der Figurenstil unseres Malers allerdings zeigt eine Basis, die im Werk der Salimbeni angelegt zu sein scheint, sich aber später dem anonymen, nach seinem Bild für Sant’Egidio in Staffolo benannten Maestro di Staffolo (tätig um 1425–1475) angleicht. Wie für Letzteren, war auch für unseren Maler das Werk Gentile da Fabrianos und dessen venezianische Interpreten das Mass der Dinge.
Wie der Autor nach Drucklegung feststellen konnte, handelt es sich bei dem in Frage stehenden Maler um den aus Visso in den Marken stammenden Maler, Paolo di Giovanni da Visso (aktiv ca. 1431–1482). Seine Autorschaft basiert auf einer Stilkongruenz mit einer Paolo da Visso zuzuweisenden Grablegung der Jungfrau in Privatbesitz.
Wir danken Prof. Dr. Gaudenz Freuler für diesen Katalogeintrag.
Schweizer Privatsammlung.
Das bislang unveröffentlicht gebliebene eindrückliche Tafelbild mit der Darstellung eines spezifischen Moments des Leidens Christi am Kreuz, welches kürzlich in einer Schweizer Privatsammlung entdeckt wurde, ist ein bedeutendes Beispiel der hochgotischen Malerei Italiens der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Visualisiert ist dabei nicht primär der Tod Christi am Kreuz, ins Zentrum gerückt ist vielmehr jener Moment als Christus mit geöffneten Augen, kurz vor dem letzten Atemzug seinen Lieblingsjünger Johannes seiner Mutter als Sohn anempfiehlt, und dieser so in die göttliche Familie aufgenommen wird. Dieser Idee wurde im 14. Jahrhundert in der dominikanischen Mystik eine besondere Rolle zugewiesen und ist im Bild durch eine Inschrift nach Johannes 19,27 bekräftigt, welche die letzten Worte Christi am Kreuz wiedergibt: "mulier, ecce filius tuus, (ecce mater tua )" (Weib, siehe hier: Dein Sohn und Du, sieh hier Deine Mutter).
Diese Bildidee wird subtil in Szene gesetzt, indem die Mutter Gottes den vor ihr niedergeknieten, weinenden Johannes bei der Hand nimmt und schützend ihren Mantel um ihn hält. Zeuge dieses emotionalen Geschehens ist der Heilige Franziskus von Assisi. Ans Kreuz geeilt und dieses umfassend, erweist er seine Verehrung.
Diese, in ihrer ikonographischen Besonderheit hervorzuhebende Tafel, ist ein typisches Beispiel der hybriden hochgotischen Bildwelt der märkischen Malerei des früheren 15. Jahrhunderts. Die Zuweisung an einen bestimmten Maler erweist sich als komplex, da sich hier die verschiedensten Strömungen der norditalienischen Malerei der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Elementen der zentralitalienischen Kunst vereinen. Vieles deutet darauf hin, dass das Bild im Bereich der Marken, vermutlich in der Region von Fabriano oder San Severino entstanden ist. In diesen Regionen bildete sich im 15. Jahrhundert eine Bildwelt, die den verspielten hochgotischen Stil Norditaliens, der Lombardei, der Visconti und des Veneto einerseits und die Eleganz der klassischen, plastischeren Formenwelt der Toskana andererseits zur Synthese verband.
Der uns interessierende Künstler hat dekorative Elemente der lombardischen Malerei aufgegriffen – etwa der mit dem Stichel eingeritzten Ranken übersäte Goldgrund – wie sie im Veneto durch Stefano da Verona (1374–1450) und Gentile da Fabriano (um 1370/1385–1427) vorgebildet waren. Aber auch gewisse Gesichtstypen, wie etwa das Profil des Franziskus, sind dem Formenrepertoire des Gentile da Fabriano entsprungen. So lässt sich Franziskus mit dem Profil von Gentile da Fabrianos Petrus Martyre des Marienkrönungs-Altars aus Valle Romita (Mailand Brera) vergleichen oder mit Interpretationen dieses Typus, wie sie im Werk des Venezianers Niccolò di Pietro (tätig um 1368–1415) zu greifen sind.
Die Emotionalität in den Gesichtern des weinenden Johannes und der Madonna erinnern an das Werk der Brüder Lorenzo und Jacopo Salimbeni (um 1374–nach 1420) aus San Severino. Das Atmosphärische in unserem Bild, wie das mystisch gleissende Licht in einer sonst dunklen Bildwelt, weist eindeutig ins Milieu des Gentile da Fabriano, der eines der schönsten derartigen Beispiele schuf (Franziskus empfängt die Stigmata, San Mamiliano del Traversetolo, Fondazione Magnani Rocca).
Die klare Observanz von Gentile da Fabrianos Kunst zeigt sich jedoch nicht allein in der erwähnten atmosphärischen Lichtregie, die sich über die Landschaft hinaus auch auf die Figuren und deren Draperien ausweitet (vgl. die Mäntel der Madonna und den Habitus des Franziskus). Sie spiegelt sich darüber hinaus auch in der Gestaltung der felsigen Landschaft und der reichen Blütenwiesen, deren einzelne Pflanzen durch den Lichteinfall wie goldene Irrlichter glänzen.
Ähnliches ist auch in der Kunst des in den Marken tätigen Jacobello del Fiore (tätig um 1400–1439), etwa in seinen Szenen aus der Legende der Heiligen Lucia, Fermo Pinacoteca Comunale, zu erkennen. Der Figurenstil unseres Malers allerdings zeigt eine Basis, die im Werk der Salimbeni angelegt zu sein scheint, sich aber später dem anonymen, nach seinem Bild für Sant’Egidio in Staffolo benannten Maestro di Staffolo (tätig um 1425–1475) angleicht. Wie für Letzteren, war auch für unseren Maler das Werk Gentile da Fabrianos und dessen venezianische Interpreten das Mass der Dinge.
Wie der Autor nach Drucklegung feststellen konnte, handelt es sich bei dem in Frage stehenden Maler um den aus Visso in den Marken stammenden Maler, Paolo di Giovanni da Visso (aktiv ca. 1431–1482). Seine Autorschaft basiert auf einer Stilkongruenz mit einer Paolo da Visso zuzuweisenden Grablegung der Jungfrau in Privatbesitz.
Wir danken Prof. Dr. Gaudenz Freuler für diesen Katalogeintrag.
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Verkauft für CHF 152 800 (inkl. Aufgeld)
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