Lot 3029* - A170 Gemälde Alter Meister - Freitag, 19. September 2014, 15.00 Uhr
MATTHIAS STOMER
(Amersfoort um 1600–nach 1650 Sizilien)
Die Evangelisten Markus und Lukas mit ihren Attributen Löwe und Ochse.
Öl auf Leinwand.
113 × 154 cm.
Provenienz:
- Trafalgar Galleries, London, 1976.
- Europäische Privatsammlung.
Literatur:
- John Walsh: Stomer's Evangelists, in: Burlington Magazine, Juli 1976, S. 504-507, Abb. 84.
- Benedict Nicolson: Stomer brought up to date, in: Burlington Magazine, April 1977, S. 238.
- Benedict Nicolson: The International Caravaggesque Movement, Oxford 1979, S. 95.
- Benedict Nicolson: Caravaggism in Europe, 2. Ausgabe, 1990, Abb. Nr. 1512.
- R. Verdi. : Matthias Stom, Ausst. Kat. Birmingham 1999, S. 48-50, Nr. 9, Abb. S. 49.
Ausstellungen:
- London 1976, "In the Light of Caravaggio", Trafalgar Galleries London, 1976, Nr. 13.
- Birmingham 1999, "Matthew Stomer", Barber Institute, Birmingham, Oktober 1999 - Januar 2000.
Dieses Gemälde ist der Schlüssel zur spannenden Entdeckung und glücklichen Wiedervereinigung eines Paares, das einst durch das Auf und Ab der Geschichte auseinandergerissen worden war. Im Jahr 1963 erstellten Doktoranten der Columbia University in New York ein Inventar der Kunstsammlung der Universität. Ein stark nachgedunkeltes und teilweise übermaltes Gemälde erregte die Aufmerksamkeit des späteren Direktors des Getty Museums, John Walsh; es konnte jedoch zunächst keinem Künstler zugeordnet werden. Jahre später erwähnte Walsh das New Yorker Werk gegenüber dem britischen Kunsthistoriker Benedict Nicolson. Der erinnerte sich sofort an ein Gemälde, das er zufällig gerade im Londoner Handel gesehen hatte, nämlich unsere " Evangelisten Markus und Lukas mit ihren Attributen Löwe und Ochse."
Unser Bild wurde in die USA gebracht, mit dem Werk der Universität abgeglichen und die beiden als höchst qualitätsvolle Gegenstücke mit den vier Evangelisten von Matthias Stomer identifiziert. Eine Restaurierung durch das Metropolitan Museum brachte bei dem Gemälde der Universität die von der Übermalung befreiten Stellen zum Vorschein. Sie zeigen nun die Attribute von Matthäus, einen Adler, und von Johannes, dem ein zarter, in sich gekehrter Engel über die Schulter schaut (siehe Abb. 1).
Die für die Identifizierung der Evangelisten entscheidenden Symbole gehen auf alttestamentarische Quellen zurück, die im Neuen Testament wieder aufgegriffen werden. In der Offenbarung des Johannes heisst es von vier Wesen, die um den Thron Gottes stehen: "Das erste glich einem Löwen, das zweite einem Jungstier, das dritte hat ein Gesicht wie ein Mensch, das vierte war gleich einem fliegenden Adler." Seit dem 4. Jahrhundert werden diese Symbole den vier Evangelisten zugeordnet.
Während Matthäus und der jugendliche Johannes im Gemälde der Columbia University angeregt diskutieren, sind Markus und Lukas auf unserem Bild in ruhiger Haltung gezeigt. Markus, mit dem rechten Unterarm locker auf den Löwen aufgestützt, scheint uns Betrachter nachdenklich anzublicken; sein linker Arm umfasst ein grosses Buch, in dem - teilweise durch seine Hand verdeckt - eine lateinische Inschrift erkennbar ist: "PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS" oder übersetzt: "Friede Dir, Markus, mein Evangelist!"
Dieser Gruss steht im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Gebeine des Evangelisten Markus aus Alexandria durch zwei venezianische Kaufleute im Jahre 828. Die Reliquien wurden nach Venedig überführt, wo der bisherige Stadtheilige sofort durch den berühmten Evangelisten ersetzt wurde und eine Legende entstand, wonach der Evangelist in der Lagune von einem Engel mit diesen Worten gegrüsst worden sei - die perfekte Rechtfertigung des Diebstahls und Legitimation der neuen Ruhestätte. Der Gruss "Pax tibi" findet sich häufig gemeinsam mit dem Evangelisten oder in Venedig auch oft nur mit dem Löwen.
Lukas, der mit dem Stier im Hintergrund auf der rechten Bildseite konzentriert an der Niederschrift des Evangeliums arbeitet, hat sein linkes Bein über das andere geschlagen, seine nackten Füsse sind klar erkennbar. Dabei liess sich der niederländische Maler Stomer, der mit rund dreissig Jahren um 1630 in Rom nachweisbar ist, von einem damals als skandalös geltenden Gemälde seines grossen Vorbilds Caravaggio (1571 - 1610)? inspirieren. Caravaggio (eigentlich Michelangelo Merisi), der das chiaroscuro, also eine dramatische Hell-Dunkel-Führung von Licht und Schatten, und eine äusserst realitätsnahe Darstellung auch Heiliger in die Malerei eingeführt hatte, hinterliess insbesondere bei Malern aus den Niederlanden einen tiefen Eindruck. Auch Stomer war Teil dieses Kreises von "Utrechter Caravaggisten" in Rom. Ursprünglich nur zur Ausbildung nach Italien gekommen, kehrte Stomer nie wieder in die Niederlanden zurück und liess sich nach Stationen in Neapel und Rom schliesslich in Norditalien nieder.
In Rom muss Stomer allerdings noch Caravaggios "Der Evangelist Matthäus mit dem Engel" gesehen haben, ein Gemälde, das dieser 1602 als Auftragsarbeit für die Cappella Contarelli in San Luigi dei Francesi in Rom erstellt hatte, das jedoch abgelehnt worden war. Caravaggio hatte nämlich den Evangelisten mit übergeschlagenen Beinen und blossen Füssen dargestellt, was als nicht dessen Würde entsprechend kritisiert wurde. Der Caravaggio-Sammler Marchese Vincenzo Giustiniani (1564-1637) überzeugte die Kongregation allerdings davon den Maler ein weiteres Bild des Evangelisten malen zu lassen - eine ziemlich "zahme" Version, die sich heute noch vor Ort befindet - und übernahm dafür die viel spannendere erste Version, die 1815 nach Berlin gelangte. Leider ist dieses Werk seit dem Kriegsjahr 1945 verschollen und nur als schwarz-weiss-Fotografie erhalten. Unser Gemälde, das Stomers ausserordentliche Fähigkeit zur psychologisch dichten Darstellung von Personen und seine überragenden malerischen Fertigkeiten unter Beweis stellt, ist eine würdige Fortführung dieses grossen Meisterwerks.
- Trafalgar Galleries, London, 1976.
- Europäische Privatsammlung.
Literatur:
- John Walsh: Stomer's Evangelists, in: Burlington Magazine, Juli 1976, S. 504-507, Abb. 84.
- Benedict Nicolson: Stomer brought up to date, in: Burlington Magazine, April 1977, S. 238.
- Benedict Nicolson: The International Caravaggesque Movement, Oxford 1979, S. 95.
- Benedict Nicolson: Caravaggism in Europe, 2. Ausgabe, 1990, Abb. Nr. 1512.
- R. Verdi. : Matthias Stom, Ausst. Kat. Birmingham 1999, S. 48-50, Nr. 9, Abb. S. 49.
Ausstellungen:
- London 1976, "In the Light of Caravaggio", Trafalgar Galleries London, 1976, Nr. 13.
- Birmingham 1999, "Matthew Stomer", Barber Institute, Birmingham, Oktober 1999 - Januar 2000.
Dieses Gemälde ist der Schlüssel zur spannenden Entdeckung und glücklichen Wiedervereinigung eines Paares, das einst durch das Auf und Ab der Geschichte auseinandergerissen worden war. Im Jahr 1963 erstellten Doktoranten der Columbia University in New York ein Inventar der Kunstsammlung der Universität. Ein stark nachgedunkeltes und teilweise übermaltes Gemälde erregte die Aufmerksamkeit des späteren Direktors des Getty Museums, John Walsh; es konnte jedoch zunächst keinem Künstler zugeordnet werden. Jahre später erwähnte Walsh das New Yorker Werk gegenüber dem britischen Kunsthistoriker Benedict Nicolson. Der erinnerte sich sofort an ein Gemälde, das er zufällig gerade im Londoner Handel gesehen hatte, nämlich unsere " Evangelisten Markus und Lukas mit ihren Attributen Löwe und Ochse."
Unser Bild wurde in die USA gebracht, mit dem Werk der Universität abgeglichen und die beiden als höchst qualitätsvolle Gegenstücke mit den vier Evangelisten von Matthias Stomer identifiziert. Eine Restaurierung durch das Metropolitan Museum brachte bei dem Gemälde der Universität die von der Übermalung befreiten Stellen zum Vorschein. Sie zeigen nun die Attribute von Matthäus, einen Adler, und von Johannes, dem ein zarter, in sich gekehrter Engel über die Schulter schaut (siehe Abb. 1).
Die für die Identifizierung der Evangelisten entscheidenden Symbole gehen auf alttestamentarische Quellen zurück, die im Neuen Testament wieder aufgegriffen werden. In der Offenbarung des Johannes heisst es von vier Wesen, die um den Thron Gottes stehen: "Das erste glich einem Löwen, das zweite einem Jungstier, das dritte hat ein Gesicht wie ein Mensch, das vierte war gleich einem fliegenden Adler." Seit dem 4. Jahrhundert werden diese Symbole den vier Evangelisten zugeordnet.
Während Matthäus und der jugendliche Johannes im Gemälde der Columbia University angeregt diskutieren, sind Markus und Lukas auf unserem Bild in ruhiger Haltung gezeigt. Markus, mit dem rechten Unterarm locker auf den Löwen aufgestützt, scheint uns Betrachter nachdenklich anzublicken; sein linker Arm umfasst ein grosses Buch, in dem - teilweise durch seine Hand verdeckt - eine lateinische Inschrift erkennbar ist: "PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS" oder übersetzt: "Friede Dir, Markus, mein Evangelist!"
Dieser Gruss steht im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Gebeine des Evangelisten Markus aus Alexandria durch zwei venezianische Kaufleute im Jahre 828. Die Reliquien wurden nach Venedig überführt, wo der bisherige Stadtheilige sofort durch den berühmten Evangelisten ersetzt wurde und eine Legende entstand, wonach der Evangelist in der Lagune von einem Engel mit diesen Worten gegrüsst worden sei - die perfekte Rechtfertigung des Diebstahls und Legitimation der neuen Ruhestätte. Der Gruss "Pax tibi" findet sich häufig gemeinsam mit dem Evangelisten oder in Venedig auch oft nur mit dem Löwen.
Lukas, der mit dem Stier im Hintergrund auf der rechten Bildseite konzentriert an der Niederschrift des Evangeliums arbeitet, hat sein linkes Bein über das andere geschlagen, seine nackten Füsse sind klar erkennbar. Dabei liess sich der niederländische Maler Stomer, der mit rund dreissig Jahren um 1630 in Rom nachweisbar ist, von einem damals als skandalös geltenden Gemälde seines grossen Vorbilds Caravaggio (1571 - 1610)? inspirieren. Caravaggio (eigentlich Michelangelo Merisi), der das chiaroscuro, also eine dramatische Hell-Dunkel-Führung von Licht und Schatten, und eine äusserst realitätsnahe Darstellung auch Heiliger in die Malerei eingeführt hatte, hinterliess insbesondere bei Malern aus den Niederlanden einen tiefen Eindruck. Auch Stomer war Teil dieses Kreises von "Utrechter Caravaggisten" in Rom. Ursprünglich nur zur Ausbildung nach Italien gekommen, kehrte Stomer nie wieder in die Niederlanden zurück und liess sich nach Stationen in Neapel und Rom schliesslich in Norditalien nieder.
In Rom muss Stomer allerdings noch Caravaggios "Der Evangelist Matthäus mit dem Engel" gesehen haben, ein Gemälde, das dieser 1602 als Auftragsarbeit für die Cappella Contarelli in San Luigi dei Francesi in Rom erstellt hatte, das jedoch abgelehnt worden war. Caravaggio hatte nämlich den Evangelisten mit übergeschlagenen Beinen und blossen Füssen dargestellt, was als nicht dessen Würde entsprechend kritisiert wurde. Der Caravaggio-Sammler Marchese Vincenzo Giustiniani (1564-1637) überzeugte die Kongregation allerdings davon den Maler ein weiteres Bild des Evangelisten malen zu lassen - eine ziemlich "zahme" Version, die sich heute noch vor Ort befindet - und übernahm dafür die viel spannendere erste Version, die 1815 nach Berlin gelangte. Leider ist dieses Werk seit dem Kriegsjahr 1945 verschollen und nur als schwarz-weiss-Fotografie erhalten. Unser Gemälde, das Stomers ausserordentliche Fähigkeit zur psychologisch dichten Darstellung von Personen und seine überragenden malerischen Fertigkeiten unter Beweis stellt, ist eine würdige Fortführung dieses grossen Meisterwerks.
CHF 350 000 / 500 000 | (€ 360 820 / 515 460)
Verkauft für CHF 432 000 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr