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Lot 3452* - Z29 PostWar & Contemporary - Freitag, 03. Dezember 2010, 17.00 Uhr

JOAN MITCHELL

(Chicago 1925–1992 Paris)
Polyptichon (Bestehend aus 5 einzelnen Arbeiten auf Papier). Um 1978.
Farbige Pastellkreiden auf Velin von Arches.
Ein Blatt unten rechts signiert: Joan Mitchell.
37,5 x 155 cm (je Blatt: 37,5 x 31 cm).

Wir danken der Mitchell Foundation für Ihre wissenschaftliche Unterstützung. Provenienz: - Xavier Fourcade, New York. - Vincent Fourcade, New York. - Privatsammlung, San Francisco. - Durch Erbschaft an den jetzigen Besitzer, San Francisco. Für zimperliche Umgangsformen war sie nicht bekannt. Eher für ein ziemlich raues Mundwerk. Und das brauchte Joan Mitchell auch, wollte sie in der New Yorker Cedar Tavern und im Eighth Street Club bei den rauchumnebelten Trinkgelagen bestehen, zu denen sich die "Helden" des Abstrakten Expressionismus´ Jackson Pollock, Franz Kline und Willem de Kooning zu Beginn der 1950er Jahre zusammenfanden. Als eine der wenigen Frauen wurde sie von ihren männlichen Kollegen respektiert und anerkannt und zählt heute, angeregt von einem Ausstellungstitel, zur "Zweiten Generation" des Abstrakten Expressionismus, gemeinsam mit Zeitgenossen wie Cy Twombly, Robert Motherwell und Sam Francis. Als 25jährige trat die 1925 als Tochter eines Arztes und einer Schriftstellerin in Chicago geborene Mitchell erstmals mit energiegeladenen, grossformatigen Gemälden voller Farbexplosionen in Erscheinung. Inspiriert von Erlebnissen und Landschaften sind in den Abstraktionen häufig Versatzstücke von Gegenständlichkeit zu erkennen wie z. B. in dem Werk "Hemlock" (1956, Whitney Museum of American Art, New York), deren Titel auf die Schierlingstanne verweist, die mit einem dichten Gewebe aus Grün- und Weisstönen angedeutet ist. Mit dem hier angebotenen fünfteiligen Polyptichon auf Papier tritt uns eine zartere, sensible, keineswegs aber weniger entschlossene Joan Mitchell entgegen. Während ihrer gesamten Karriere schuf die Künstlerin Arbeiten auf Papier. Zwar nutzte sie dabei Bleistift, Farbstifte, Wasserfarben, Tinte, Kohle etc., doch gelangte sie wohl mit Pastellkreiden zu ihrer grössten Ausdruckskraft. Pastellkreide - dieser in Stiftform gepresste Farbstaub ist mit seiner Fragilität und Subtilität wohl nicht das erste Medium, das man gemeinhin mit dem Abstrakten Expressionismus, seinen Materialschlachten mit Drippings aus Farbeimern oder jedenfalls dicken, impulsiv geführten Pinselstrichen in Verbindung bringen mag. Doch ist es die mögliche Variationsbreite des Pastells, das in hauchzarte Farbschleier verstrichen, in pastosen Flächen opak aufgetragen, flexibel als Zeichnstift genutzt werden kann, die Mitchell so faszinierte und zu einer absoluten Meisterin werden liess. Dass sie ihre Papierarbeiten ebenso despektierlich wie ironisch "lady paintings" nannte, könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass sie als Malerin möglicherweise vor allem mit ihren "männlicheren" Ölgemälden wahrgenommen werden und bestehen wollte, während sie die Papierwerke vielleicht eher ihrer privaten Sphäre zuordnete - wiewohl sie längst von den renommiertesten Museen der Welt wie dem Museum of Modern Art in New York oder dem dortigen Guggenheim Museum gesammelt werden. Interessanterweise beschritt die Künstlerin auch inhaltlich mit ihren Papierarbeiten und den Gemälden in Öl verschiedene Wege. Jedenfalls erscheint unser Polyptichon wie auch ein ebenfalls 1978 entstandenes Vergleichswerk in sieben Teilen, das etwas grössere "Untitled" (siehe den Ausstellungskatalog "Joan Mitchell, Works on paper 1956-1992", Cheim & Read, New York, 2007, Nr. 37) als Gegenentwurf zu den Ölgemälden, die sie zur selben Zeit schuf. Mit dem über drei Meter langen, vierteiligen "Salut Tom" (1978, The Corcoran Gallery of Art, Washington, D.C.) oder dem ebenfalls vierteiligen "La vie en rose" (1979, Robert Miller Gallery and Bernard Lennon, Inc., New York, entstanden nach dem endgültigen Bruch mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Maler Jean-Paul Riopelle) kommt sie damals nämlich erstmals fast an ein "All-over-Painting" heran, also eine flächendeckende, über die Leinwand reichende Malerei. Bei den einzelnen Arbeiten unseres Polyptichons wie denen des Vergleichswerks bezieht Mitchell dagegen souverän die Freiräume des Maluntergrunds und seine helle Farbe in die Komposition ein und gestaltet einen "[…] eigenständigen Bildraum mit einem inneren Gravitationszentrum, in dem innerhalb eines nur scheinbar improvisierten Chaos´ ein Impetus und eine Heftigkeit herrschen, die sich eine verborgene Ordnung, ein gemeines Mass und Gleichgewicht geben konnten" (aus: Sandro Parmiggiani, Auf der Suche nach einem verlorenen Gefühl, in: Joan Mitchell, Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Emden, 6. Dezember 2008-8. März 2009). In diesen beiden Papierarbeiten begrenzt Mitchell die Bildfläche durch kastenartige Gebilde aus in etwa rechteckig angeordneten schwarzen Linien, die weitere Bildräume innerhalb der Darstellung schaffen, ein Verfahren, das in ihrem Werk eher selten zu finden ist. Sie könnte dem Betrachter damit Ausschnitte in virtuelle Landschaften eröffnen, als zeige sie uns Impressionen, die sie aus den Fenstern ihres Ateliers in Vétheuil an der Seine bei Giverny in direkter Nachbarschaft des ehemaligen Wohnsitzes von Claude Monet gewonnen hat, in dem sie seit 1967 lebt und arbeitet. Durch einen Wechsel von verschwommenen Farbflächen und energischen Strichfolgen und "Knäueln" erreicht sie eine Rhythmisierung der Darstellung, gleichzeitig aber eine Verunsicherung der Perspektive, als träten die Ferne der Landschaften und die ihr näher liegenden Gegenstände des Innenraums jeweils in den Fokus des Auges und wieder heraus. Möglicherweise verstand Mitchell die "Kästen" aber auch als Rahmen, deren Kunstwerke mit den sie umgebenden Bildzeichen in einen imaginären, rätselhaften Dialog treten.

CHF 200 000 / 300 000 | (€ 206 190 / 309 280)


Verkauft für CHF 366 000 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr