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Lot 3223 - A185 Impressionismus & Moderne - Freitag, 29. Juni 2018, 16.00 Uhr

ERNST LUDWIG KIRCHNER

(Aschaffenburg 1880–1938 Davos)
Obstschale II. Um 1910.
Holz, rot bemalt.
Unten am Fuss monogrammiert: ELK.
17 x 38 x 24 cm.

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern dokumentiert.

Provenienz:
- Erna Kirchner.
- Lise Guyer, wohl 1943 bei obiger erworben.
- Privatsammlung Schweiz, als Geschenk von obiger erhalten.
- Privatsammlung Schweiz, durch Erbschaft an die heutigen Besitzer.

Ausstellungen:
- Davos 2002/03, E. L. Kirchner - Das Plastische Werk, Kirchner Museum Davos, 15. Dezember 2002 - 23 März 2003 (mit Abb. S. 6.).
- Nagoya (Japan) 1995/96, Expressionist Sculpture, Aichi Prefectural Museum of Arts and The Niigata Prefectural Museum of Arts, 1995/96, Kat. Nr. 87 (mit Abb.).

Literatur: Henze, Wolfgang: Die Plastik Ernst Ludwig Kirchners. Monographie und Werkverzeichnis, Wichtrach, 2002, S. 320, Nr. 1910/19 (mit Abb.).

Ernst Ludwig Kirchner widmet sich neben seinen zahlreichen malerischen und druckgrafischen Werken auch intensiv der plastischen Arbeit. Zusammen mit Barlach und Lehmbruck gehört er zu den bedeutendsten Bildhauern des Expressionismus. Innerhalb der Brücke Bewegung spielt die Skulptur eine zentrale Rolle, und es ist Erich Heckel, der sich ihr als erster zuwendet. Ab 1909 dann auch Kirchner, der sich von allen Mitgliedern bis zu seinem Tod am intensivsten damit beschäftigen wird.
Der eigentliche Beweggrund, der Kirchner zur Skulptur bringt, ist der Bedarf an Gebrauchs- und Einrichtungsgegenständen, so finden sich unter den ersten Plastiken Kirchners und Heckels Karyatiden, die als Bücherstützen oder Träger von Regalbrettern dienen sollten. Es ist ein gemeinsames Interesse der Brücke Künstler, die Umwelt und die Kunst zu verschmelzen und dem alltäglichen Leben einen individuellen künstlerischen Stempel aufzudrücken. Zu Lebzeiten erschafft Kirchner also Meisterwerke wie Schalen, Skulpturen, Truhen, Stühle, Tischbeine, Betten und viele Unikate mehr, mit denen er sein Haus dekoriert und die für ihn – ganz anders als seine Gemälde – zum täglichen Mobiliar dazugehören.
Kirchner selbst misst seinen Skulpturen einen hohen Stellenwert bei, wobei er keinen Unterschied zwischen rein skulpturalen Werken und Nutzgegenständen macht. Oft verschmelzen diese bei Kirchner ohnehin miteinander. Die ersten Plastiken bei Kirchner sind aus Ton, Kalkstein und Sandstein gearbeitet. Schnell wird ihm aber das Holz zur bevorzugten Materie, mit welchem er bereits durch die Holzschnittarbeit vertraut ist und dessen Möglichkeit, Unikate zu schaffen, ihn fasziniert. „Wie anders sieht… eine Plastik aus, die der Künstler selbst mit eigenen Händen aus dem echten Material bildet, wo jede Wölbung und Vertiefung von der Sinnlichkeit der Hand des Schaffenden geformt wird, wo scharfer Hieb und zartestes Schnitzen unmittelbar das Gefühl des Künstlers ausdrücken.“ (Kirchner in: Über die Plastik von E. L. Kirchner, in: der Cicerone, 17. Jg., 1925, S. 696)

Kirchners Malerei wird ebenfalls durch seine Plastik beeinflusst bzw. hilft ihm diese in der Ausführung. So schreibt Kirchner Dinge wie: „Es ist so gut für das Malen und Zeichnen, Figuren zu machen, es gibt der Zeichnung Geschlossenheit und es ist ein sinnlicher Genuss, wenn Schlag auf Schlag mehr die Figur aus dem Stamm herauswächst“ und „Diese Zusammenarbeit mit der Plastik wird mir immer wertvoller, Sie erleichtert mir die Übersetzung der räumlichen Vorstellung in die Fläche (des Bildes)“. (1911 an Gustav Schiefler)
Es finden sich immer wieder Skulpturen auf seinen Gemälden wieder. So auch unser zur Auktion angebotenes Stück „Obstschale II“, die von Kirchner auf dem Gemälde „Stillleben mit Plastiken und Blumen“ (Abb. 1) von 1912 festgehalten worden ist.
Immer wieder aufkommendes Thema in Kirchners bildhauerischer Tätigkeit ist die Gestalt des Menschen. Ebenso wenn er Gebrauchsgegenstände oder Möbel schnitzt, nehmen diese stets menschliche Formen an. In Erinnerung an Gauguins magische Südseewelten werden Kirchner und seine Brücke-Kollegen durch die Völkerschauen im Berliner Zoo sowie von der grossen und vielfältigen Sammlung der Dresdner und Berliner Völkerkundemuseen inspiriert. „Er (Kirchner) fand im ethnographischen Museum in der Negerplastik und den Balkenschnitzereien der Südsee eine Parallele zu seinem eigenen Schaffen“ (Brücke Chronik 1913). Tatsächlich sind die Gestalten in Kirchners wunderbaren Schnitzereien immer eng mit den Figuren ferner Völker verbunden und verweisen auf deren archaischen Einfluss.
In seinen frühen Plastiken von 1910 dominieren vorwiegend kauernde Akte. Auch das zur Auktion angebotene Werk zeigt diese Darstellung von zwei kauernden Akten, wohl ein weiblicher und ein männlicher, die eine Schale halten. Die Skulptur wurde (teilweise) mit roter Farbe bemalt, was Kirchner bei wichtigen Skulpturen seinerseits tat um, wie er selbst sagt, die Holzplastik durch Bemalung zu bereichern.
Zeit seines Schaffens schnitzt Kirchner rund 140 Plastiken, von denen heute knapp die Hälfte noch auffindbar ist, der Rest jedoch zerstört oder verschollen. Wir dürfen im Rahmen dieser Auktion eines dieser sehr raren und einzigartigen Objekte anbieten. „Obstschale II“ wird ausserdem begleitet von einer sehr guten Provenienz, blieb sie doch seit ihrer Herstellung bis zu seinem Tod in Kirchners Besitz. Danach ging sie an Kirchners Lebenspartnerin Erna Schilling über. Circa 1943 hat Lise Gujer die Schale für ihre Sammlung direkt bei Erna Schilling erworben. Die Familie der heutigen Besitzer, die mit Gujer befreundet gewesen ist, erbt das meisterliche Kunstwerk nach dem Tod von Lise Gujer. Seither ist die Schale in Familienbesitz.
Bisher standen nur wenige Plastiken von Kirchner auf Auktionen zum Verkauf. Mit „Obstschale II“ kommt zum ersten Mal überhaupt ein Kirchner-Objekt in dieser Form auf den Markt. Es verbindet Gebrauchsgegenstand und Skulptur in sich und ist in seiner Ausführung sowie im kunsthistorischen Kontext eine Einmaligkeit.

CHF 100 000 / 200 000 | (€ 103 090 / 206 190)


Verkauft für CHF 186 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr