Lot 3245 - Z38 Impressionismus & Moderne - Freitag, 26. Juni 2015, 16.00 Uhr
MARIANNE VON WEREFKIN
(Tula 1870–1938 Ascona)
Allerseelen. Um 1930.
Tempera auf Papier, auf Karton aufgelegt.
Unten links monogrammiert: MW.
66 x 76 cm.
Provenienz: Privatbesitz Schweiz (direkt bei der Künstlerin 1933 gekauft), durch Erbschaft an die heutigen Eigentümer. Marianne von Werefkin betrachtet die Kunst in erster Linie als Quelle der Hoffnung: "Wir Künstler müssen durch persönliche Leiden zur Versöhnung mit dem Leben durchdringen und es in allen seinen Formen anerkennen. Über dem Zusammensturz unseres Lebens müssen wir den Tempel der Hoffnung und des Glaubens für andere schaffen, das ist unsere Bestimmung." (zit aus: Bernd Fäthke, Marianne Werefkin - Leben und Werk, München 1988, S. 137) Wie viele andere russische Maler teilt Marianne von Werefkin das Schicksal eines durch das Weltgeschehen gezwungenermassen bewegten Lebens; das prägenste Schicksal ist wohl ihr Verhältnis zu Alexej Jawlensky. Diesen lernt sie 1892 in Russland kennen und wird mit ihm eine Beziehung über 27 Jahre führen. Marianne von Werefkin ist zum Zeitpunkt ihres ersten Treffens in der Malerei weiter fortgeschritten als Jawlensky und so beschliesst sie, den mitttellosen Offizier zu fördern. Sie macht ihn mit ihrem Lehrer Ilija Repin bekannt, der ihn in seiner Malschule ausbildet. 1896, nach dem Tod ihres Vaters mit einer hohen Zarenrente ausgestattet, siedelt sie mit Jawlensky nach München über und wird dort ein Mitglied der "Lukasbruderschaft" - einer losen Verbindung gleichgesinnter, meist russischer Künstler. 1909 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der "Neuen Münchner Künstlervereinigung", schliesst sich 1911 jedoch nicht der Sezession des "Blauen Reiters", die von Wassily Kandinsky und Franz Marc gegründet wird, an. 1913 stellt sie dennoch ihre Werke mit den Malern dieser Gruppe im ersten Deutschen Herbstsalon aus. 1914 flieht sie gemeinsam mit Jawlensky in die Schweiz, zunächst nach St. Prex, danach nach Zürich. 1918 lassen sie sich endgültig in Ascona nieder. Dort ist sie die treibende Kraft bei der Gründung der Künstlervereinigung "Der grosse Bär", 1920 stellt sie auf der Biennale in Venedig aus. 1921 trennt sich Jawlensky von ihr und heiratet in Wiesbaden die Mutter seines Sohnes. Marianne von Werefkins Gemälde sind in ihrer Ausdruckskraft und ihrer Art, dem Betrachter unter vielen Schichten symbolisch Geschichten zu erzählen, einzigartig. Eine spannende Mischung verschiedener Einflüsse manifestiert sich darin: zum einen der russischen Peredwischnicki ("Wanderer"), eine sozial engagierte Künstlergruppe, die sich dem sozialistischen Realismus verschrieben hat und die Melancholie der russischen Seele in ihren Werken thematisieren; zum anderen jener des Expressionismus. Eduard Schmid sagt treffend über sie: "Wie merkwürdig sind doch diese Bilder von Marianne von Werefkin. Sie sind nicht in eine Norm zu bringen und wollte man dies dennoch tun, so würde man am besten zwischen Kirchner und Chagall suchen (…). Ein Spuk in bösen und guten Tagen war ihre Malerei und einer mit bösen und guten Gespenstern." (Eduard Schmid, Auf Besuch bei Marianne von Werefkin, in: Marianne von Werefkin, Zeugnis und Bild, Zürich 1975 S. 23-24). In ihren Werken schwingt immer eine Ambivalenz zwischen Melancholie und Freude, Trauer und Hoffnung. So beinhaltet gerade das vorliegende Werk "Allerseelen" all diese Symbolik. Marianne von Werefkin thematisiert hier das römisch-katholische Kirchenfest, an dem die Gläubigen der Verstorbenen gedenken. Es zeigt einen Friedhof, der von hohen Bergen eingebettet ist. Wir sehen einen Priester und zwei Frauen, die ihn gerade betreten, um Kränze niederzulegen. Die Friedhofsmauer erstrahlt in hellem Grün in der vom Mond erleuchteten Nacht. Einem Schiffsrumpf gleich umschliesst die Friedhofsmauer den Platz und die Kirche schützend vor den Wogen der Welt. Gleich einem Schiffsmast ragt der helle, gelbe Kirchturm gen Himmel und strahlt Sicherheit sowie Zuversicht aus. Die bewegte Biographie der Künstlerin hält immer Einzug in ihre Werke, Emotionen wie Schmerz, aber auch Freude, gläubige Zuversicht und Selbstbestimmung vereint sie virtuos zu ausdruckstarken, farbprächtigen Meisterwerken, wie wir im vorliegenden Werk eindrücklich sehen.
CHF 100 000 / 180 000 | (€ 103 090 / 185 570)
Verkauft für CHF 132 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr