Lot 3450 - Z35 PostWar & Contemporary - Samstag, 07. Dezember 2013, 16.00 Uhr
TOM WESSELMANN
(Cincinnati 1931–2004 New York)
Iris Nude with Motherwell (Filled In). 1995.
Öl auf Aluminium, Cut out.
Verso signiert und datiert: Wesselmann 95, sowie mit der Studio Nummer bezeichnet:"NII6", zudem betitelt und mit einer ausführlichen Installationsanleitung versehen.
114,3 x 173 x 7,6 cm.
Diese Arbeit ist im Archiv des "Tom Wesselmann Estate", New York, registriert.
Provenienz:
- Sidney Janis Gallery, New York, bis 2000.
- Galerie Benden & Klimczak, Köln.
- Privatsammlung Schweiz.
Ausstellung:
New York, 1995: Sidney Janis Gallery "Tom Wesselmann", 4. Mai - 10. Juni 1995, New York (ohne Abb.).
Mit dem Etikett "Pop Art" kann er sich zeitlebens nicht anfreunden. Tom Wesselmann will nicht in diese Schublade, mochte er auch Konsumartikel in seine Assemblagen integrieren, die knallbunten Symbole der Leuchtreklamen zitiert, seine Modelles zu anonymisierten Pin-up-Girls gemacht haben: Er wehrt sich dagegen, diesen Bildelementen eine grosse inhaltliche Bedeutung beizumessen. Genutzt hat er dieses Motivmaterial, weil es einfach allgegenwärtig war, damals, in der US-Gesellschaft der 1960er Jahre, in der er seinen Platz als junger Künstler und seine eigene künstlerische Handschrift sucht. Einen kulturellen Kommentar vermag er in seiner poppig-bunten Kunst nicht zu erkennen. Er habe sich, so sagt er einmal in einem Interview, einfach "nur mit Elementen seiner eigenen Kultur wohl" gefühlt: "Also griff ich auf das zurück, was um mich herum war, auf meine eigene Kultur." Was Wesselmann in seiner nächsten Umgebung findet, collagiert er zu berauschend sinnlichen Bildwelten von überwältigender Farbigkeit, verführerisch und verheissungsvoll. Mit dieser neuen Bildsprache will und vermag er sich aus dem Schatten der Titanen des Abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock und Willem de Kooning zu lösen. Deren gewaltig bewegten "action paintings" haben Ende der 1950er Jahre die New Yorker Kunstszene beherrscht und bei Wesselmann ebenso Bewunderung wie völlige künstlerische Lähmung ausgelöst. Seine eigenen Interessen, wie er erst in einem schwierigen Selbstfindungsprozess über sich selbst lernen muss, liegen bei traditionellen, ruhigen Bildgattungen: Er will Akte und Stillleben gestalten. Mit der Serie der "Great American Nudes", mit denen er Berühmtheit erlangen sollte, lässt er dann allerdings jede malerische Konvention hinter sich. Es sind Aktgemälde von eindringlicher Erotik, deren unverblümte Direktheit noch heute berührt. Gleichzeitig gehen diese Werke allerdings auf Distanz, durch die kühle Glätte, mit der dort weibliche Körper in ihren expliziten Posen dargestellt werden. Die "Great American Nudes" und viele ihrer Nachfolgerinnen in Wesselmanns Oeuvre dienen als makellose Projektionsfläche ohne individuelle Persönlichkeit: "Von Anfang an habe ich ihnen keine Gesichter gegeben, weil ich wollte, dass durch das Bild eine Art fließende Bewegung geht, und gewisse Dinge hätten diese Bewegung möglicherweise aufgehalten: zu viele Details, beispielsweise. Ein Gesicht gibt dem Akt persönliche Züge und verändert den gesamten Ausdruck des Werks, macht es zu einer Art Portrait-Akt, und das gefiel mir nicht. Also verzichtete ich von vornherein auf Gesichtszüge." Nur der rote Mund findet sich ab 1961 in Wesselmanns Akten. Mit Brustwarzen und Scham bildet er eine erotische Trias, deren Farbigkeit auch den liegenden, uns zugewandten Körper in unserem 1995 entstandenen Werk "Nude with Motherwell" rhythmisiert: ein deutlicher Bezug auf die frühe Werkgruppe des Künstlers. Jedoch sind in unserem Werk nicht die Oberflächen des Körpers, sondern dessen stark verbreiterte Umrisse bildgebend. Die Frau und ihre Rundungen werden durch diese Verfremdungen abstrahiert und scheinen mit den sie umgebenden orangeroten Farbfeldern zur hügeligen Landschaft zu verschmelzen - komplett mit Sonne, Wolken, blauem Himmel und einer rechts aus dem Boden wachsenden Palme als ironischem Kommentar. Diese betont grafische Gestaltung ist beispielsweise auch in "Nude Lying Back (3-D)" (Öl auf ausgeschnittenem Aluminiumblech, 1993, Privatbesitz) erkennbar und dürfte in der für beide Werke verwendeten Technik begründet sein. Während der Künstler in den 1960er und 70er Jahren mit Assemblagen, Kunststoffen und ungewöhnlich geformten Leinwänden experimentiert, entdeckt er 1983 ein neues Medium für seine Arbeit. Aluminium- und Stahlblech, von Hand oder per Laser nach der Vorlage seiner Zeichnungen ausgeschnitten, bietet ihm eine ungeahnte Fülle gestalterischer Möglichkeiten. Eine Offenbarung für Wesselmann: "Es war, als ob jemand einen Schalter angeknipst hätte. [...] Ich bin ein völlig anderer Künstler." Mit dem neuen Material kann der Künstler an die skulpturale Qualität früherer Arbeiten anknüpfen. Er schichtet Metallplatten mit kleinen Abstandshaltern vor- und übereinander und lässt dadurch unterschiedliche Bildebenen entstehen. Wesselmann formt filigranste Landschaften wie "Quick Sketch from the Train (Italy)" (1987, Privatsammlung), in der Wege, Felder und Hügel nur durch zarte Linien angedeutet sind; oder massige Arbeiten wie das kompakte, wandfüllende Tondo "Night Time with Four Roses and Pear" (1993, Privatbesitz). Es sind moderne Reliefs, deren endgültige Wirkung durch ihre Farbfassung entsteht. Auf der Rückseite unserer "Nude with Motherwell" finden sich ausführliche Empfehlungen des Künstlerstudios zur Aufhängung und Befestigung der stabilen Metallkonstruktion. Doch die Betrachterseite ist mit opaken, samtigen Ölfarben gestaltet, die den massiven Bildträger völlig in den Hintergrund treten lassen. Sie wirkt, als seien die einzelnen Elemente aus leichten, weichen Kunststoffen wie beispielsweise Moosgummi ausgeschnitten. Ein raffiniertes Spiel mit Farben, Materialien und den an sie geknüpften Assoziationen. Ein Spiel auch mit Zitaten. Der Werktitel "Nude with Motherwell" weist uns direkt auf einen Künstler aus der vorangegangenen Generation: Robert Motherwell (1915-1991), der für markante schwarze Formen bekannt wird und als "intellektuelles Gegenstück" zum impulsiven Jackson Pollock gilt. Es ist denkbar, dass Wesselmann in unserem Werk eine der zahlreichen Varianten aus Motherwells Serie "Elegy for the Spanish Republic" zitiert, die in den 1950er Jahren entstehen und sich heute unter anderem im Metropolitan Museum und im Museum of Modern Art (beide New York) befinden. Dafür würden nicht nur die ovalen schwarzen Formationen sprechen, die hinter beziehungsweise über dem Akt und hinter der Palme geschichtet sind. Auch die cremigen Lachs- und Orangetöne unserer Körperlandschaft könnten auf Motherwells "Elegy"-Serie Bezug nehmen. Wesselmanns Oeuvre weist zahlreiche solcher Reverenzen an vergangene Künstlergrössen auf. In "Great American Nude No.44" (1963, Privatbesitz) betrachtet ein Frauenkopf, den der Künstler aus einem Renoir-Gemälde entlehnt hat, die sich aufreizend räkelnde Aktfigur. Den Hintergrund für "Monica sitting with Mondrian" (1988, Privatbesitz) bilden die typischen rot-blau-gelben Farbfelder und schwarzen Raster des niederländischen Malers; und eine ganze Reihe von Werken widmet Wesselmann grossen Vorbildern der Moderne wie Henri Matisse oder Pablo Picasso. Für "Nude with Motherwell" hat Wesselmann ausgerechnet einen der führenden Abstrakten Expressionisten gewählt, mit denen er sich einst so abgemüht hat. Die Souveränität, mit der er hier Motherwells künstlerische Essenz destilliert und wie eine Spolie - gleich dem Säulenfragment einer antiken Tempelruine - in die Bildebenen eingebaut hat, demonstriert: Die waren einmal. Heute bin ich. Die Zitate in unserem Katalogbeitrag sind einem Text von Marco Livingstone in: Tom Wesselmann, 1959-1993: Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, 9.4.1994-29.5.1994, im Palais des Beaux-Arts, Brüssel, 16.6.1994-28.8.1994 [et al.],hrsg. von Thomas Buchsteiner und Otto Letze, Ostfildern : Cantz, cop. 1994, S. 15-23, entnommen.
Provenienz:
- Sidney Janis Gallery, New York, bis 2000.
- Galerie Benden & Klimczak, Köln.
- Privatsammlung Schweiz.
Ausstellung:
New York, 1995: Sidney Janis Gallery "Tom Wesselmann", 4. Mai - 10. Juni 1995, New York (ohne Abb.).
Mit dem Etikett "Pop Art" kann er sich zeitlebens nicht anfreunden. Tom Wesselmann will nicht in diese Schublade, mochte er auch Konsumartikel in seine Assemblagen integrieren, die knallbunten Symbole der Leuchtreklamen zitiert, seine Modelles zu anonymisierten Pin-up-Girls gemacht haben: Er wehrt sich dagegen, diesen Bildelementen eine grosse inhaltliche Bedeutung beizumessen. Genutzt hat er dieses Motivmaterial, weil es einfach allgegenwärtig war, damals, in der US-Gesellschaft der 1960er Jahre, in der er seinen Platz als junger Künstler und seine eigene künstlerische Handschrift sucht. Einen kulturellen Kommentar vermag er in seiner poppig-bunten Kunst nicht zu erkennen. Er habe sich, so sagt er einmal in einem Interview, einfach "nur mit Elementen seiner eigenen Kultur wohl" gefühlt: "Also griff ich auf das zurück, was um mich herum war, auf meine eigene Kultur." Was Wesselmann in seiner nächsten Umgebung findet, collagiert er zu berauschend sinnlichen Bildwelten von überwältigender Farbigkeit, verführerisch und verheissungsvoll. Mit dieser neuen Bildsprache will und vermag er sich aus dem Schatten der Titanen des Abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock und Willem de Kooning zu lösen. Deren gewaltig bewegten "action paintings" haben Ende der 1950er Jahre die New Yorker Kunstszene beherrscht und bei Wesselmann ebenso Bewunderung wie völlige künstlerische Lähmung ausgelöst. Seine eigenen Interessen, wie er erst in einem schwierigen Selbstfindungsprozess über sich selbst lernen muss, liegen bei traditionellen, ruhigen Bildgattungen: Er will Akte und Stillleben gestalten. Mit der Serie der "Great American Nudes", mit denen er Berühmtheit erlangen sollte, lässt er dann allerdings jede malerische Konvention hinter sich. Es sind Aktgemälde von eindringlicher Erotik, deren unverblümte Direktheit noch heute berührt. Gleichzeitig gehen diese Werke allerdings auf Distanz, durch die kühle Glätte, mit der dort weibliche Körper in ihren expliziten Posen dargestellt werden. Die "Great American Nudes" und viele ihrer Nachfolgerinnen in Wesselmanns Oeuvre dienen als makellose Projektionsfläche ohne individuelle Persönlichkeit: "Von Anfang an habe ich ihnen keine Gesichter gegeben, weil ich wollte, dass durch das Bild eine Art fließende Bewegung geht, und gewisse Dinge hätten diese Bewegung möglicherweise aufgehalten: zu viele Details, beispielsweise. Ein Gesicht gibt dem Akt persönliche Züge und verändert den gesamten Ausdruck des Werks, macht es zu einer Art Portrait-Akt, und das gefiel mir nicht. Also verzichtete ich von vornherein auf Gesichtszüge." Nur der rote Mund findet sich ab 1961 in Wesselmanns Akten. Mit Brustwarzen und Scham bildet er eine erotische Trias, deren Farbigkeit auch den liegenden, uns zugewandten Körper in unserem 1995 entstandenen Werk "Nude with Motherwell" rhythmisiert: ein deutlicher Bezug auf die frühe Werkgruppe des Künstlers. Jedoch sind in unserem Werk nicht die Oberflächen des Körpers, sondern dessen stark verbreiterte Umrisse bildgebend. Die Frau und ihre Rundungen werden durch diese Verfremdungen abstrahiert und scheinen mit den sie umgebenden orangeroten Farbfeldern zur hügeligen Landschaft zu verschmelzen - komplett mit Sonne, Wolken, blauem Himmel und einer rechts aus dem Boden wachsenden Palme als ironischem Kommentar. Diese betont grafische Gestaltung ist beispielsweise auch in "Nude Lying Back (3-D)" (Öl auf ausgeschnittenem Aluminiumblech, 1993, Privatbesitz) erkennbar und dürfte in der für beide Werke verwendeten Technik begründet sein. Während der Künstler in den 1960er und 70er Jahren mit Assemblagen, Kunststoffen und ungewöhnlich geformten Leinwänden experimentiert, entdeckt er 1983 ein neues Medium für seine Arbeit. Aluminium- und Stahlblech, von Hand oder per Laser nach der Vorlage seiner Zeichnungen ausgeschnitten, bietet ihm eine ungeahnte Fülle gestalterischer Möglichkeiten. Eine Offenbarung für Wesselmann: "Es war, als ob jemand einen Schalter angeknipst hätte. [...] Ich bin ein völlig anderer Künstler." Mit dem neuen Material kann der Künstler an die skulpturale Qualität früherer Arbeiten anknüpfen. Er schichtet Metallplatten mit kleinen Abstandshaltern vor- und übereinander und lässt dadurch unterschiedliche Bildebenen entstehen. Wesselmann formt filigranste Landschaften wie "Quick Sketch from the Train (Italy)" (1987, Privatsammlung), in der Wege, Felder und Hügel nur durch zarte Linien angedeutet sind; oder massige Arbeiten wie das kompakte, wandfüllende Tondo "Night Time with Four Roses and Pear" (1993, Privatbesitz). Es sind moderne Reliefs, deren endgültige Wirkung durch ihre Farbfassung entsteht. Auf der Rückseite unserer "Nude with Motherwell" finden sich ausführliche Empfehlungen des Künstlerstudios zur Aufhängung und Befestigung der stabilen Metallkonstruktion. Doch die Betrachterseite ist mit opaken, samtigen Ölfarben gestaltet, die den massiven Bildträger völlig in den Hintergrund treten lassen. Sie wirkt, als seien die einzelnen Elemente aus leichten, weichen Kunststoffen wie beispielsweise Moosgummi ausgeschnitten. Ein raffiniertes Spiel mit Farben, Materialien und den an sie geknüpften Assoziationen. Ein Spiel auch mit Zitaten. Der Werktitel "Nude with Motherwell" weist uns direkt auf einen Künstler aus der vorangegangenen Generation: Robert Motherwell (1915-1991), der für markante schwarze Formen bekannt wird und als "intellektuelles Gegenstück" zum impulsiven Jackson Pollock gilt. Es ist denkbar, dass Wesselmann in unserem Werk eine der zahlreichen Varianten aus Motherwells Serie "Elegy for the Spanish Republic" zitiert, die in den 1950er Jahren entstehen und sich heute unter anderem im Metropolitan Museum und im Museum of Modern Art (beide New York) befinden. Dafür würden nicht nur die ovalen schwarzen Formationen sprechen, die hinter beziehungsweise über dem Akt und hinter der Palme geschichtet sind. Auch die cremigen Lachs- und Orangetöne unserer Körperlandschaft könnten auf Motherwells "Elegy"-Serie Bezug nehmen. Wesselmanns Oeuvre weist zahlreiche solcher Reverenzen an vergangene Künstlergrössen auf. In "Great American Nude No.44" (1963, Privatbesitz) betrachtet ein Frauenkopf, den der Künstler aus einem Renoir-Gemälde entlehnt hat, die sich aufreizend räkelnde Aktfigur. Den Hintergrund für "Monica sitting with Mondrian" (1988, Privatbesitz) bilden die typischen rot-blau-gelben Farbfelder und schwarzen Raster des niederländischen Malers; und eine ganze Reihe von Werken widmet Wesselmann grossen Vorbildern der Moderne wie Henri Matisse oder Pablo Picasso. Für "Nude with Motherwell" hat Wesselmann ausgerechnet einen der führenden Abstrakten Expressionisten gewählt, mit denen er sich einst so abgemüht hat. Die Souveränität, mit der er hier Motherwells künstlerische Essenz destilliert und wie eine Spolie - gleich dem Säulenfragment einer antiken Tempelruine - in die Bildebenen eingebaut hat, demonstriert: Die waren einmal. Heute bin ich. Die Zitate in unserem Katalogbeitrag sind einem Text von Marco Livingstone in: Tom Wesselmann, 1959-1993: Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, 9.4.1994-29.5.1994, im Palais des Beaux-Arts, Brüssel, 16.6.1994-28.8.1994 [et al.],hrsg. von Thomas Buchsteiner und Otto Letze, Ostfildern : Cantz, cop. 1994, S. 15-23, entnommen.
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