Lot 3014* - A146 Gemälde Alter Meister - Freitag, 19. September 2008, 14.30 Uhr
AMBROSIUS BOSSCHAERT d. Ä.
(Antwerpen 1573–1621 Den Haag)
Blumenstrauss mit Tulpen, Schwertlilie, Gartennelke, Ringelblume, Rosmarinblätter und anderen Blüten in einem Römer mit Schmetterlingen, Spitzschnecke und Fliege. 1608.
Öl auf Kupfer.
Unten links monogrammiert: AB (ligiert). Unten rechts datiert: 160(?).
26 × 18,1 cm.
Provenienz:
- Privatsammlung, Deutschland, seit dem 19. Jahrhundert.
- Durch Erbfolge an heutige Besitzer.
Dieses exquisite und äusserst gut erhaltene Blumenstilleben von Ambrosius Bosschaert I tauchte kürzlich in einer europäischen Privatsammlung auf. Das Werk ist eine wichtige Neuentdeckung und eine bedeutende Ergänzung seines Schaffens und stellt ein exzellentes und charakteristisches Beispiel des frühen reifen Oeuvres dieses Künstlers dar. Darüber hinaus scheint es sich dabei um eines der frühesten unabhängigen Stilleben zu handeln, die in den nördlichen Niederlanden im 17. Jahrhundert gemalt wurden.
Die herausragenden Merkmale dieses Gemäldes sind seine wundervoll schlichte Komposition und die technische Perfektion, mit der es gemalt wurde. Jede Blüte, jedes Insekt und alle weiteren Details wurden mit derselben wissenschaftlichen Präzision ausgeführt. Der Kupferträger lässt die Farben in ihrem vollen Reichtum strahlen, ein Effekt, der dem Objekt eine juwelenartige Erscheinung gibt.
Diese Präzision wurde gleichermassen auch auf den Aufbau der Komposition angewandt. Sie wird durch eine vertikale Achse dominiert, welche durch die Iris am oberen Bildrand begonnen und durch die Nelke in der Mitte und die gelbe Blume direkt über dem Rand des Römers weitergeführt wird. Der Römer seinerseits gibt der gesamten Anordnung ihr Fundament. Die beiden Tulpen sind jeweils seitlich neben dieser Hauptachse angeordnet und erhalten ihr Gegengewicht durch den Schmetterling und das Spitzschneckenhaus auf der Tischplatte unten.
Wie Fred G. Meijer (in: Ploeg, P van der: Bouquets from the Golden Age, 1992, S. 62, unter Katalog-Nr. 6) festgestellt hat, finden sich dicht strukturierte Kompositionen, die um eine vertikale Achse aufgebaut sind, in allen Frühwerken Bosschaerts. Als Beispiele sind das Gemälde von 1606 in Cleveland (Siehe Abbildung 1, vgl. auch Brenninkmeijer - de Rooy, B.:, Bouquets from the Golden Age, 1992, S. 16. Fig. 2) und das Bild von 1607 zu nennen, welches sich ehemals in der Galerie John Mitchell & Son, London, befand (Ploeg, P. van der, ebd., Katalog-Nr. 6). Im Unterschied zu diesen beiden Frühwerken zeigt unser Gemälde allerdings einen wichtigen Schritt in Bosschaerts Entwicklung und setzt sich somit von seinen frühen Werken ab: Der Künstler verleiht den Blumen mehr Entfaltungsmöglichkeit und räumliche Tiefe. Denn anstatt die Vase und die Blumen wie in seinen früheren Stilleben dicht an die Bildoberfläche zu rücken und so den Eindruck einer nur begrenzten räumlichen Tiefe zu vermitteln, positioniert er nun den Römer weiter zurück und gewährt ihm damit mehr Raum.
Diese Entwicklung muss um 1608 stattgefunden haben. Dies zeigt sich auch in dem signierten und 1608 datierten Blumenstillleben, welches 1985 bei Sotheby's London (11. Dez 1985, Lot Nr. 43) angeboten wurde und sich heute in einer Privatsammlung befindet. Fred G. Meijer weist darauf hin, dass dieses Werk nicht nur von einer unserem Gemälde sehr ähnlichen Behandlung der räumlichen Tiefe bestimmt wird, sondern auch einen identischen Römer zeigt. Daraus zieht Meijer den Schluss, dass beide Werke aus derselben Zeit stammen müssen und die letzte Ziffer der Datierung des hier angebotenen Gemäldes als eine "8" zu lesen ist.
Fred G. Meijer vermerkt ferner, dass Bosschaerts Entwicklung, seinen Kompositionen mehr Räumlichkeit zu geben, vermutlich von Jan Brueghel I. beeinflusst wurde, der um 1606 mit der Darstellung unabhängiger Blumenstilleben auf kleinen Kupfertafeln begonnen hatte; das erste fertigte er für Kardinal Federico Borromeo in Mailand an. Obwohl über die Bekanntschaft zwischen Bosschaert und Brueghel keine genauen Angaben überliefert sind - war Bosschaert ein Schüler, oder kannte er Brueghel nur durch seine Tätigkeit als Kunsthändler? - ist es doch auffällig, dass das Stilleben von Jan Brueghel I., welches sich nun im Städel Frankfurt befindet, Inv.-Nr. 1219 (siehe dazu Sander,J.: Die Magie der Dinge. Stillebenmalerei 1500 - 1800, Ausstellungskatalog 2008/9, Katalog-Nr. 21, mit Abbildung), ein identisch positioniertes Alpenveilchen zeigt. Ebenso wird das Motiv des Blattes über dem Rand des Römers, das auch in dem hier angebotenen Gemälde erscheint, aufgegriffen. Und doch wurde bereits wiederholt festgestellt, dass die Ergebnisse bei Brueghel einerseits und bei Bosschaert andererseits sehr verschieden sind. Die Bouquets des ersten Künstlers sind stets spielerisch und leicht, während die des letztgenannten durch ihre innere Ruhe und malerische Präzision gekennzeichnet sind.
Die malerische Umsetzung räumlichen Effektes beschäftigte Bosschaert auch in den nachfolgenden Jahren. Das wird an einem kleinen Blumenstilleben von 1610 in der P. and N. de Boer Foundation, Amsterdam, deutlich (siehe dazu Segal, S.: Flowers and Nature, 1990, S. 188, Nr. 33, mit Abbildung) und ebenso an dem Blumenstilleben von 1614 in der National Gallery, London (Siehe Abb. 2). Vor allem in dem letzteren Gemälde ist das Bouquet durch eine freiere Kompositionsstruktur arrangiert. Dort neigen sich die Blumen nach vorne und hinten um den sie umschliessenden Raum zu verdeutlichen, während die Räumlichkeit auf unserem Gemälde durch den zurückgesetzten Römer, durch die Dreidimensionalität der einzelnen Blüten und Stiele sowie durch ihre vor- und hintereinanderliegende Anordnung evoziert wird. In seinen späteren Jahren, wie beispielsweise bei dem Gemälde, das sich heute im Mauritshuis, Den Haag, befindet, Inv.-Nr. 679 (Ploeg, P. van der: ebd., Katalog-Nr. 8, mit Abbildung), führte Bosschaert das Motiv einer offenen Nische ein, um ganz offensichtlich den allgemeinen Eindruck von Räumlichkeit noch zu verstärken.
L.J. Bol (The Bosschaert Dynasty. Painters of Flowers and Fruit, 1960, S. 20 ff.) wies als Erster darauf hin, dass Bosschaerts Blumenstilleben in Wirklichkeit niemals so existieren konnten, da die Blumen, aus denen sich seine Bouquets zusammensetzen, zu verschiedenen Jahreszeiten blühen. Diese These wurde später von B. Brenninkmeijer - de Rooij und anderen ('For Love of Flora', Ploeg, P. van der, ebd., S.11) bestätigt, sowie durch die Untersuchungen von Dr. Sam Segal gestützt. Dr. Segals Diagramm (Abbildung 3), welches die in unserem Gemälde gezeigten Exemplare identifiziert, bestätigt diese Beobachtung. So blühen Tulpen beispielsweise nicht zur selben Zeit wie Rosen.
Dr. Segal legt in seinen Untersuchungen ferner dar, dass sich Bosschaerts Bouquets immer aus sehr seltenen Blumenarten zusammensetzen, wie sie etwa in den florilegia von Rembert Dodoens (Dodonaeus), Charles de l' Escluse (Clusius), Adriaen Collaert und anderen zu finden sind, und dass ihre Wiedergabe im Sinne des humanistischen Gedankens verstanden werden sollte (siehe Segal, S.: Flowers and Nature, 1990, Katalog-Nr. 13-16, mit Abbildungen).
Tatsächlich gab es, wie L.J. Bol (ebd., S. 15 ff.) vermerkt, in Middelburg, wo Bosschaert lebte, zahlreiche Amateur-Botaniker, die Pflanzen und spezielle Blumenzüchtungen in ihren Gärten kultivierten und solche florilegia als Handbücher genutzt haben müssen. Die lebhafte Korrespondenz zwischen einigen dieser Sammler und Carolus Clusius, Direktor der Botanischen Gärten der Universität zu Leyden, beweist, wie leidenschaftlich diese Personen in ihren eifrigen Bemühungen um Informationen nach neuen Pflanzen und Aufzuchtsmethoden vorgingen. Das Umfeld, das diese Botaniker und Sammler erzeugten, wurde oft als wichtigster Stimulator für die Entwicklung des Blumenstillebens als eigenständige Gattung in der holländischen Malerei zu Beginn des 17. Jahrhunderts genannt. Sicherlich müssen diese Amateur-Botaniker zu den ersten Sammlern von Bosschaerts Stilleben gezählt haben. Sie bewunderten die Gewissenhaftigkeit, mit der dieser Künstler die verschiedenen Blumensorten in Arrangements dargestellt hat, die ja nur eine Illusion der Realität wiedergeben. Das ist - wie Fred G. Meijer mündlich vermutet - wohl auch der Grund dafür, warum Bosschaert die Blumen in seinen Kompositionen in ihrer natürlichen Grösse wiedergegeben hat.
Illusionistische Darstellungsmöglichkeiten stiessen erstmals in höfischen Kreisen des 16. Jahrhunderts auf grosse Bewunderung. Das humanistisch geprägte Interesse der Höflinge inspirierte sie zur Erkundigung der visuellen Realität. Gartenbau und Botanik wurden als nutzvolle Aktivitäten sehr empfohlen und Sammlungen aller Arten von naturalia und artificalia wurden zusammengetragen, um Mikrokosmen der sichtbaren Welt zu gestalten. Diese Sammlungen setzten sich aus den unterschiedlichsten Schätzen wie Knochen, Korallen und Muscheln bis hin zu Kunstwerken zusammen und wurden Besuchern zur Bewunderung vorgeführt.
Kaiser Rudolf II. in Prag schuf bekanntlich eine der wichtigsten Sammlungen von naturalia und artificialia in seiner Wunderkammer. In einem ambitionierten Projekt, das als die 'Dürer Renaissance' bekannt wurde, lud Kaiser Rudolf Künstler nach Prag ein, um die reiche Fauna und Flora Böhmens zu studieren und darzustellen. Zahlreiche Studien entstanden, die dann in Mappen zusammengefasst wurden. Eine solche Mappe hat sich beispielsweise in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten und enthält Studien von Ludger Tom Ring, Hans Hoffman und anderen (siehe dazu Koreny, F.: Albrecht Dürer und die Tier-und Pflanzenstudien der Renaissance, 1985, S. 240 / 4, Katalog-Nr. 88/9, mit Abbildungen).
Nach Rudolfs Tod verbreitete sich diese von ihm angeregte Bewegung über ganz Europa und etliche Sammler strebten an, vergleichbare Sammlungen von Artefakten zusammenzutragen.
In der Zwischenzeit hatte die Malerei den Status einer freien (d.h. intellektuellen) Kunst errungen, die eine bedeutende Rolle innerhalb der humanistischen Kultur inne hatte. Diese Aufwertung der Malerei vom Handwerk zur Wissenschaft nahm ihren Anfang im 14. Jahrhundert in Italien, wo eine Reihe von theoretischen Traktaten verfasst wurde. Die beiden wichtigsten sind De Pittura von Leon Battista Alberti, publiziert 1435, und Leonardo da Vincis Ausführungen zur Rolle des Künstlers. Beide Autoren forderten bildende Künstler auf, die Natur darzustellen. Das Zeichnen und Malen wurde nicht nur zu einer wissenschaftlich bedeutsamen Aktivität erklärt, sondern als unabdingbares Medium zur Annäherung an die kreative Kraft der Natur verstanden - waren doch die Künstler selbst Teil des kreativen Aktes.
Am Ende des 16. Jahrhunderts wurden diese Theorien der Renaissance, die erstmals in Padua und Florenz entwickelt worden waren, nach Norden gebracht, unter anderem von Karel van Mander, der sein Schilderboeck 1604 veröffentlichte. Seine Schriften führten die Idee der eigenständigen Kategorisierung der Malerei in Genregattungen ein, zu der die holländischen Künstler so vieles beitragen sollten.
Über das Leben von Ambrosius Bosschaert I ist wenig bekannt, aber er wird gemeinsam mit Jan Brueghel I, Roelant Savery und Jacob de Gheyn zu den Pionieren des unabhängigen Stillebengenres im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gezählt. Er wurde 1573 in Antwerpen geboren. 1587 zog seine Familie aus religiösen Gründen nach Middelburg, wo er sich bis 1613 aufgehalten zu haben scheint. 1593 trat er der Malergilde dieser Stadt bei. In Amsterdam ist Bosschaert 1614 nachweisbar und in Utrecht ab 1615/9; danach ist er in Breda belegt. Er starb 1621 auf dem Weg nach Den Haag, wo er ein Gemälde ausliefern wollte.
Obwohl Bosschaert zu seiner Zeit ein äusserst gefragter Künstler war, verblasste sein Ruf als bedeutender Stillebenmaler während des 18. und 19. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er fast in Vergessenheit geraten - bis ihn L.J. Bol (ebd., 1960) neu entdeckte und einen ersten Versuch zur Rekonstruktion seines Werkes unternahm. Dr. Segal ('Still-Lifes by Middelburg Painters', in: Masters of Middelburg, 1984, und nachfolgende Publikationen) und Fred Meijer (Stillevens uit de Gouden Eeuw, 1989, und andere Katalogbeiträge) haben seither erheblich zu unserem Wissen über diesen Künstler beigetragen, sodass das hier angebotene Gemälde nun angemessen gewürdigt werden kann: als einzigartiges Beispiel der Stillebenmalerei des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden.
Wir möchten uns bei Fred G. Meijer vom RKD, Den Haag, und bei Dr. Sam Segal für ihre wertvolle Hilfe bei der Erstellung dieses Katalogeintrages bedanken. Ebenso danken wir Marjorie E. Wieseman, die ermöglicht hat, dass unser Gemälde im direkten Vergleich mit dem Blumenstilleben von Ambrosius Bosschaert in der National Gallery, London, betrachtet werden konnte.
WIr freuen uns sehr, dass Fred G. Meijer zu diesem Lot einen Vortrag in Zürich am Mittwoch, den 10. September 2008 um 19.00 halten wird.
- Privatsammlung, Deutschland, seit dem 19. Jahrhundert.
- Durch Erbfolge an heutige Besitzer.
Dieses exquisite und äusserst gut erhaltene Blumenstilleben von Ambrosius Bosschaert I tauchte kürzlich in einer europäischen Privatsammlung auf. Das Werk ist eine wichtige Neuentdeckung und eine bedeutende Ergänzung seines Schaffens und stellt ein exzellentes und charakteristisches Beispiel des frühen reifen Oeuvres dieses Künstlers dar. Darüber hinaus scheint es sich dabei um eines der frühesten unabhängigen Stilleben zu handeln, die in den nördlichen Niederlanden im 17. Jahrhundert gemalt wurden.
Die herausragenden Merkmale dieses Gemäldes sind seine wundervoll schlichte Komposition und die technische Perfektion, mit der es gemalt wurde. Jede Blüte, jedes Insekt und alle weiteren Details wurden mit derselben wissenschaftlichen Präzision ausgeführt. Der Kupferträger lässt die Farben in ihrem vollen Reichtum strahlen, ein Effekt, der dem Objekt eine juwelenartige Erscheinung gibt.
Diese Präzision wurde gleichermassen auch auf den Aufbau der Komposition angewandt. Sie wird durch eine vertikale Achse dominiert, welche durch die Iris am oberen Bildrand begonnen und durch die Nelke in der Mitte und die gelbe Blume direkt über dem Rand des Römers weitergeführt wird. Der Römer seinerseits gibt der gesamten Anordnung ihr Fundament. Die beiden Tulpen sind jeweils seitlich neben dieser Hauptachse angeordnet und erhalten ihr Gegengewicht durch den Schmetterling und das Spitzschneckenhaus auf der Tischplatte unten.
Wie Fred G. Meijer (in: Ploeg, P van der: Bouquets from the Golden Age, 1992, S. 62, unter Katalog-Nr. 6) festgestellt hat, finden sich dicht strukturierte Kompositionen, die um eine vertikale Achse aufgebaut sind, in allen Frühwerken Bosschaerts. Als Beispiele sind das Gemälde von 1606 in Cleveland (Siehe Abbildung 1, vgl. auch Brenninkmeijer - de Rooy, B.:, Bouquets from the Golden Age, 1992, S. 16. Fig. 2) und das Bild von 1607 zu nennen, welches sich ehemals in der Galerie John Mitchell & Son, London, befand (Ploeg, P. van der, ebd., Katalog-Nr. 6). Im Unterschied zu diesen beiden Frühwerken zeigt unser Gemälde allerdings einen wichtigen Schritt in Bosschaerts Entwicklung und setzt sich somit von seinen frühen Werken ab: Der Künstler verleiht den Blumen mehr Entfaltungsmöglichkeit und räumliche Tiefe. Denn anstatt die Vase und die Blumen wie in seinen früheren Stilleben dicht an die Bildoberfläche zu rücken und so den Eindruck einer nur begrenzten räumlichen Tiefe zu vermitteln, positioniert er nun den Römer weiter zurück und gewährt ihm damit mehr Raum.
Diese Entwicklung muss um 1608 stattgefunden haben. Dies zeigt sich auch in dem signierten und 1608 datierten Blumenstillleben, welches 1985 bei Sotheby's London (11. Dez 1985, Lot Nr. 43) angeboten wurde und sich heute in einer Privatsammlung befindet. Fred G. Meijer weist darauf hin, dass dieses Werk nicht nur von einer unserem Gemälde sehr ähnlichen Behandlung der räumlichen Tiefe bestimmt wird, sondern auch einen identischen Römer zeigt. Daraus zieht Meijer den Schluss, dass beide Werke aus derselben Zeit stammen müssen und die letzte Ziffer der Datierung des hier angebotenen Gemäldes als eine "8" zu lesen ist.
Fred G. Meijer vermerkt ferner, dass Bosschaerts Entwicklung, seinen Kompositionen mehr Räumlichkeit zu geben, vermutlich von Jan Brueghel I. beeinflusst wurde, der um 1606 mit der Darstellung unabhängiger Blumenstilleben auf kleinen Kupfertafeln begonnen hatte; das erste fertigte er für Kardinal Federico Borromeo in Mailand an. Obwohl über die Bekanntschaft zwischen Bosschaert und Brueghel keine genauen Angaben überliefert sind - war Bosschaert ein Schüler, oder kannte er Brueghel nur durch seine Tätigkeit als Kunsthändler? - ist es doch auffällig, dass das Stilleben von Jan Brueghel I., welches sich nun im Städel Frankfurt befindet, Inv.-Nr. 1219 (siehe dazu Sander,J.: Die Magie der Dinge. Stillebenmalerei 1500 - 1800, Ausstellungskatalog 2008/9, Katalog-Nr. 21, mit Abbildung), ein identisch positioniertes Alpenveilchen zeigt. Ebenso wird das Motiv des Blattes über dem Rand des Römers, das auch in dem hier angebotenen Gemälde erscheint, aufgegriffen. Und doch wurde bereits wiederholt festgestellt, dass die Ergebnisse bei Brueghel einerseits und bei Bosschaert andererseits sehr verschieden sind. Die Bouquets des ersten Künstlers sind stets spielerisch und leicht, während die des letztgenannten durch ihre innere Ruhe und malerische Präzision gekennzeichnet sind.
Die malerische Umsetzung räumlichen Effektes beschäftigte Bosschaert auch in den nachfolgenden Jahren. Das wird an einem kleinen Blumenstilleben von 1610 in der P. and N. de Boer Foundation, Amsterdam, deutlich (siehe dazu Segal, S.: Flowers and Nature, 1990, S. 188, Nr. 33, mit Abbildung) und ebenso an dem Blumenstilleben von 1614 in der National Gallery, London (Siehe Abb. 2). Vor allem in dem letzteren Gemälde ist das Bouquet durch eine freiere Kompositionsstruktur arrangiert. Dort neigen sich die Blumen nach vorne und hinten um den sie umschliessenden Raum zu verdeutlichen, während die Räumlichkeit auf unserem Gemälde durch den zurückgesetzten Römer, durch die Dreidimensionalität der einzelnen Blüten und Stiele sowie durch ihre vor- und hintereinanderliegende Anordnung evoziert wird. In seinen späteren Jahren, wie beispielsweise bei dem Gemälde, das sich heute im Mauritshuis, Den Haag, befindet, Inv.-Nr. 679 (Ploeg, P. van der: ebd., Katalog-Nr. 8, mit Abbildung), führte Bosschaert das Motiv einer offenen Nische ein, um ganz offensichtlich den allgemeinen Eindruck von Räumlichkeit noch zu verstärken.
L.J. Bol (The Bosschaert Dynasty. Painters of Flowers and Fruit, 1960, S. 20 ff.) wies als Erster darauf hin, dass Bosschaerts Blumenstilleben in Wirklichkeit niemals so existieren konnten, da die Blumen, aus denen sich seine Bouquets zusammensetzen, zu verschiedenen Jahreszeiten blühen. Diese These wurde später von B. Brenninkmeijer - de Rooij und anderen ('For Love of Flora', Ploeg, P. van der, ebd., S.11) bestätigt, sowie durch die Untersuchungen von Dr. Sam Segal gestützt. Dr. Segals Diagramm (Abbildung 3), welches die in unserem Gemälde gezeigten Exemplare identifiziert, bestätigt diese Beobachtung. So blühen Tulpen beispielsweise nicht zur selben Zeit wie Rosen.
Dr. Segal legt in seinen Untersuchungen ferner dar, dass sich Bosschaerts Bouquets immer aus sehr seltenen Blumenarten zusammensetzen, wie sie etwa in den florilegia von Rembert Dodoens (Dodonaeus), Charles de l' Escluse (Clusius), Adriaen Collaert und anderen zu finden sind, und dass ihre Wiedergabe im Sinne des humanistischen Gedankens verstanden werden sollte (siehe Segal, S.: Flowers and Nature, 1990, Katalog-Nr. 13-16, mit Abbildungen).
Tatsächlich gab es, wie L.J. Bol (ebd., S. 15 ff.) vermerkt, in Middelburg, wo Bosschaert lebte, zahlreiche Amateur-Botaniker, die Pflanzen und spezielle Blumenzüchtungen in ihren Gärten kultivierten und solche florilegia als Handbücher genutzt haben müssen. Die lebhafte Korrespondenz zwischen einigen dieser Sammler und Carolus Clusius, Direktor der Botanischen Gärten der Universität zu Leyden, beweist, wie leidenschaftlich diese Personen in ihren eifrigen Bemühungen um Informationen nach neuen Pflanzen und Aufzuchtsmethoden vorgingen. Das Umfeld, das diese Botaniker und Sammler erzeugten, wurde oft als wichtigster Stimulator für die Entwicklung des Blumenstillebens als eigenständige Gattung in der holländischen Malerei zu Beginn des 17. Jahrhunderts genannt. Sicherlich müssen diese Amateur-Botaniker zu den ersten Sammlern von Bosschaerts Stilleben gezählt haben. Sie bewunderten die Gewissenhaftigkeit, mit der dieser Künstler die verschiedenen Blumensorten in Arrangements dargestellt hat, die ja nur eine Illusion der Realität wiedergeben. Das ist - wie Fred G. Meijer mündlich vermutet - wohl auch der Grund dafür, warum Bosschaert die Blumen in seinen Kompositionen in ihrer natürlichen Grösse wiedergegeben hat.
Illusionistische Darstellungsmöglichkeiten stiessen erstmals in höfischen Kreisen des 16. Jahrhunderts auf grosse Bewunderung. Das humanistisch geprägte Interesse der Höflinge inspirierte sie zur Erkundigung der visuellen Realität. Gartenbau und Botanik wurden als nutzvolle Aktivitäten sehr empfohlen und Sammlungen aller Arten von naturalia und artificalia wurden zusammengetragen, um Mikrokosmen der sichtbaren Welt zu gestalten. Diese Sammlungen setzten sich aus den unterschiedlichsten Schätzen wie Knochen, Korallen und Muscheln bis hin zu Kunstwerken zusammen und wurden Besuchern zur Bewunderung vorgeführt.
Kaiser Rudolf II. in Prag schuf bekanntlich eine der wichtigsten Sammlungen von naturalia und artificialia in seiner Wunderkammer. In einem ambitionierten Projekt, das als die 'Dürer Renaissance' bekannt wurde, lud Kaiser Rudolf Künstler nach Prag ein, um die reiche Fauna und Flora Böhmens zu studieren und darzustellen. Zahlreiche Studien entstanden, die dann in Mappen zusammengefasst wurden. Eine solche Mappe hat sich beispielsweise in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten und enthält Studien von Ludger Tom Ring, Hans Hoffman und anderen (siehe dazu Koreny, F.: Albrecht Dürer und die Tier-und Pflanzenstudien der Renaissance, 1985, S. 240 / 4, Katalog-Nr. 88/9, mit Abbildungen).
Nach Rudolfs Tod verbreitete sich diese von ihm angeregte Bewegung über ganz Europa und etliche Sammler strebten an, vergleichbare Sammlungen von Artefakten zusammenzutragen.
In der Zwischenzeit hatte die Malerei den Status einer freien (d.h. intellektuellen) Kunst errungen, die eine bedeutende Rolle innerhalb der humanistischen Kultur inne hatte. Diese Aufwertung der Malerei vom Handwerk zur Wissenschaft nahm ihren Anfang im 14. Jahrhundert in Italien, wo eine Reihe von theoretischen Traktaten verfasst wurde. Die beiden wichtigsten sind De Pittura von Leon Battista Alberti, publiziert 1435, und Leonardo da Vincis Ausführungen zur Rolle des Künstlers. Beide Autoren forderten bildende Künstler auf, die Natur darzustellen. Das Zeichnen und Malen wurde nicht nur zu einer wissenschaftlich bedeutsamen Aktivität erklärt, sondern als unabdingbares Medium zur Annäherung an die kreative Kraft der Natur verstanden - waren doch die Künstler selbst Teil des kreativen Aktes.
Am Ende des 16. Jahrhunderts wurden diese Theorien der Renaissance, die erstmals in Padua und Florenz entwickelt worden waren, nach Norden gebracht, unter anderem von Karel van Mander, der sein Schilderboeck 1604 veröffentlichte. Seine Schriften führten die Idee der eigenständigen Kategorisierung der Malerei in Genregattungen ein, zu der die holländischen Künstler so vieles beitragen sollten.
Über das Leben von Ambrosius Bosschaert I ist wenig bekannt, aber er wird gemeinsam mit Jan Brueghel I, Roelant Savery und Jacob de Gheyn zu den Pionieren des unabhängigen Stillebengenres im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gezählt. Er wurde 1573 in Antwerpen geboren. 1587 zog seine Familie aus religiösen Gründen nach Middelburg, wo er sich bis 1613 aufgehalten zu haben scheint. 1593 trat er der Malergilde dieser Stadt bei. In Amsterdam ist Bosschaert 1614 nachweisbar und in Utrecht ab 1615/9; danach ist er in Breda belegt. Er starb 1621 auf dem Weg nach Den Haag, wo er ein Gemälde ausliefern wollte.
Obwohl Bosschaert zu seiner Zeit ein äusserst gefragter Künstler war, verblasste sein Ruf als bedeutender Stillebenmaler während des 18. und 19. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er fast in Vergessenheit geraten - bis ihn L.J. Bol (ebd., 1960) neu entdeckte und einen ersten Versuch zur Rekonstruktion seines Werkes unternahm. Dr. Segal ('Still-Lifes by Middelburg Painters', in: Masters of Middelburg, 1984, und nachfolgende Publikationen) und Fred Meijer (Stillevens uit de Gouden Eeuw, 1989, und andere Katalogbeiträge) haben seither erheblich zu unserem Wissen über diesen Künstler beigetragen, sodass das hier angebotene Gemälde nun angemessen gewürdigt werden kann: als einzigartiges Beispiel der Stillebenmalerei des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden.
Wir möchten uns bei Fred G. Meijer vom RKD, Den Haag, und bei Dr. Sam Segal für ihre wertvolle Hilfe bei der Erstellung dieses Katalogeintrages bedanken. Ebenso danken wir Marjorie E. Wieseman, die ermöglicht hat, dass unser Gemälde im direkten Vergleich mit dem Blumenstilleben von Ambrosius Bosschaert in der National Gallery, London, betrachtet werden konnte.
WIr freuen uns sehr, dass Fred G. Meijer zu diesem Lot einen Vortrag in Zürich am Mittwoch, den 10. September 2008 um 19.00 halten wird.
CHF 2 500 000 / 3 500 000 | (€ 2 577 320 / 3 608 250)
Verkauft für CHF 5 770 000 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr