WOLF, CASPAR
* 3.5.1735 MURI, † 6.10.1783 HEIDELBERG
Landschafts- und Dekorationsmaler.
Caspar Wolf wächst als viertes von sieben Kindern des Schreiners und Schnitzers Joseph Wolf und der Bauerntochter Sibylle Veronika Süess in ärmlichen Verhältnissen auf. Möglicherweise auf Empfehlung des Fürstabts von Muri macht er 1749 in Konstanz eine Lehre beim bischöflichen Hofmaler Johann Jakob Anton von Lenz. Ab 1753 Gesellenjahre, zunächst in Augsburg. Stilistische Merkmale lassen annehmen, dass Wolf zumindest die zweite Hälfte seiner Augsburger Zeit bei dem aus St. Gallen stammenden Veduten- und Prospektmaler Jakob Christoph Weyermann tätig war. Johann Elias Ridinger (1698–1767) gilt als zweiter Bezugspunkt.
Wohl um 1757 begibt sich Wolf nach München. Vermutlich interessieren ihn hier künstlerisch Joachim Franz Beichs (1665–1748) Raumdekorationen ebenso wie Arbeiten des kurpfälzischen Hofmalers Philipp Hieronymus Brinckmann. Wahrscheinlich lernt er ausserdem in der Schleissheimer Galerie des Kurfürsten Werke der flämischen und niederländischen Schule kennen. Über einen Aufenthalt in Passau lässt sich mangels Belegen kaum Gesichertes anführen.
Nach elfjähriger Wanderschaft durch den süddeutschen Raum ist Wolf 1760 durch das signierte, datierte und mit der Ortsbezeichnung Muri versehene Altarbild für die Tellskapelle in Küssnacht wieder in seiner Heimat fassbar. Bis 1768 Ausführung verschiedener Arbeiten als Ofen-, Tapeten- und Antependienmaler; vollständig erhalten sind die Tapetenmalereien für zwei Zimmer der fürstäbtlichen Sommerresidenz im Horben (1762–63). 1763 Heirat mit Johanna Baptista Catharina Küchler aus Muri. Wegen ausbleibender Dekorationsaufträge vermehrt Landschaftsstudien. Nach einem höchstens einjährigen Aufenthalt in Basel ist Wolf 1769 in Paris, wo er in der Werkstatt des illustren Landschaftsmalers Philippe Jacques de Loutherbourg (1740–1812) Arbeit findet.
Im Herbst 1771 Rückkehr nach Muri. Entstehung von idealen Landschaften, Jagdszenen sowie Seestücken. 1773 Bekanntschaft mit dem Berner Buchdrucker und Verleger Abraham Wagner (1734–1782), der dem Kreis um den Naturforscher und Alpendichter Albrecht von Haller (1708–1777) angehört und als Auftraggeber für Wolf zur entscheidenden Figur wird. 1774 Niederlassung in Bern. Teils mit Wagner, teils mit dem Pfarrer und Naturforscher Jakob Samuel Wyttenbach (1748–1838) unternimmt der Künstler 1773–77 verschiedene Studienreisen in die Innerschweiz, zum Gotthard, in die Gegend von Engelberg, ins Berner Oberland sowie ins Wallis. Bis 1778 entstanden rund 170 Ölbilder, die als Stichvorlage dienen, und von denen Wagner rund 150 in seinem Berner Kabinett für einige Zeit unverkäuflich öffentlich präsentiert.
Wolf erhält das Recht, auf Bestellung Repliken anzufertigen. Wagners Hauptziel ist die Herausgabe einer Reihe kolorierter Umrissstiche: 1777 erste Auflage der Merkwürdigen Prospekte aus den Schweizer-Gebürgen und derselben Beschreibung, mit einer Vorrede von Albrecht von Haller. 1778 folgt die französische Edition unter dem Titel Vues Remarquables des Montagnes de la Suisse avec leur Description. 1777 sind bereits – in kleinerem Format und im herkömmlichen Kupferstichverfahren ausgeführt – die Alpes Helveticae erschienen. Wahrscheinlich in Zusammenhang mit einem Auftrag zieht Wolf 1777 nach Solothurn, wo er auch an Vorlagen für eine Stichfolge von Schweizertrachten arbeitet und von wo aus er wohl auf eigene Rechnung Malreisen in die Westschweiz unternimmt. 1779 zweiter Aufenthalt in Paris mit dem Ziel, die Bilder auszustellen und die Vues Remarquables als vierfarbige Aquatinta-Drucke neu herauszugeben.
Der erwartete Publikumserfolg bleibt allerdings aus, und auch die Arbeit an den Aquatinten muss zwei Jahre später vorübergehend eingestellt werden, weil Wagner unerwartet stirbt. 1780 reist Wolf zur Kur nach Aachen, wo er Ansichten rheinländischer Schlösser, Gutshöfe und Parkanlagen anfertigt. 1782 ist er letztmals in Paris, um die Edition voranzutreiben, die er aber nicht mehr erlebt; in Heidelberg erliegt er – vermutlich auf der Rückreise in die Schweiz – einem Nierenleiden. Die Publikationsrechte gehen 1785 zusammen mit den bereits fertiggestellten Druckplatten und den Gemälden an den Verleger Rudolph Samuel Henzi (1732–1803), der die Ausgabe noch im selben Jahr herausgibt (43 Blatt in Folio).
Die Tafeln sind allerdings zum Teil weit von Wolfs Vorlagen entfernt. Caspar Wolf zählt heute zu den Pionieren der Alpenmalerei. Er drang gegenüber anderen Protagonisten dieser Gattung, als deren frühe Vertreter Jan Janszoon Hackaert, Conrad Meyer und Felix Meyer und als Zeitgenosse Johann Ludwig Aberli zu nennen sind, viel tiefer in die lange als unheimlich und bedrohlich empfundene Bergwelt vor. Trotz mehrerer Grafik-Editionen und verschiedener Dekorationsaufträge war Wolf zeitlebens nicht besonders erfolgreich; er ist weitgehend «eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts» (Yvonne Boerlin-Brodbeck).
Die Anfänge stehen im Zeichen des süddeutschen Rokoko. Frühe Landschaftsstudien, die Wolf neben der Tätigkeit als Dekorationsmaler herstellte, sind typologisch zwischen Vedute und Ideallandschaft anzusiedeln (Blick über das Reusstal, 1769). Erst im Horbener Abtzimmer sind Ansätze zu einem persönlicheren, naturnäheren Landschaftsstil auszumachen. Eher modisch sind hingegen einige Bilder, die mit dem ersten Paris-Aufenthalt zusammenhängen, so der an Claude Joseph Vernet (1714–1789) erinnernde Sturm in einem Meerhafen (1772). Wolfs Hauptwerke entstanden 1774–78 unter dem Eindruck der aufgeklärten Forscher um Haller, die sich mit Fragen der alpinen Geologie und Geomorphologie beschäftigten. Der Künstler schärfte auf teils wagemutigen Wanderungen den Blick für die Tektonik der Alpen mit ihren Gletschern, Sturzbächen und den von Erosion gezeichneten Geröllhalden. Vor dem Motiv fertigte er in flüssiger (kälteunempfindlicher) Ölfarbe auf Karton topografisch präzise Studien an. Zeichnungen und Gouachen vervollständigen den Fundus. Zurück in Bern, malte er dann im Atelier die Gemälde, die er wiederum in die Berge mitnahm, um sie vor Ort zu überprüfen und zu korrigieren.
Besondere Aufmerksamkeit schenkte Wolf den Felsformen (Klippe, Zacke, Höhle) und dem Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen (Gletschereis, Wasserfall, Bergsee und Wassernebel mit Regenbogen). Winzige Staffagefiguren – oft ist unter anderen auch der Künstler zu erkennen – verdeutlichen die Dimensionen der Berg- und Gletscherriesen. Wolfs Gemälde weisen ein zurückhaltendes Kolorit mit fein abgestuften Braun-, Grau-, Grün- und Blautönen auf. Im reifen Werk verfällt er nicht dem zeittypischen Kult des Erhabenen, trotz einer manchmal beängstigenden Entleerung des Bildraums (Blick von der Bänisegg über den Unteren Grindelwaldgletscher und das Fiescherhornmassiv, 1776–77, Winterthur, Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten).
Ebensowenig bleibt von der verspielten Ornamentik des Rokoko übrig. Lediglich gewisse motivische Vorlieben, etwa für geschwungene Höhlenöffnungen (Drachenhöhle bei Stans, Aargauer Kunsthaus Aarau) oder querovale Formen (Der Geltenschuss im Lauenental mit Schneebrücke, Winterthur, Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten), sind als Reminiszenzen an den süddeutschen Rocaillestil zu verstehen. Caspar Wolf erreicht – im Vorfeld der Romantik – eine Wirklichkeitsnähe, deren Dramatik allein in der überwältigenden Wirkung des Bildgegenstandes begründet liegt. Werke: Aargauer Kunsthaus Aarau; Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kunstmuseum und Kupferstichkabinett; Muri (AG), Murianer Museen, Caspar Wolf Kabinett; Kunstmuseum Solothurn; Winterthur, Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Sandi Paucic, 1998, aktualisiert 2011 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4022852
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