BIEDERMANN, JOHANN JAKOB
* 7.8.1763 WINTERTHUR, † 10.4.1830 ZÜRICH
Landschaftsmaler, Porträtist und Tiermaler.
Nach erstem Unterricht im Figurenzeichnen bei Johann Rudolf Schellenberg in Winterthur floh Biedermann 1778 heimlich nach Bern, da ihn sein Vater zum Bäckerberuf bestimmte. Mitarbeit bei Heinrich Rieter, der ihn nach Vorlagen niederländischer Tiermaler wie Berchem, Dujardin, Potter und Roos Kopien sowie Naturstudien anfertigen liess. Schnell erwarb er sich Kenntnisse im Kolorieren von Rieters topografischen Umrissstichen und begann daneben eigenständig und nach Vorlagen Johann Ludwig Aberlis zu radieren. In Bern auch als Zeichenlehrer und Porträtist tätig. Hielt sich um 1783 für einige Zeit in Lausanne und Genf auf. Nach dem Tod seiner ersten Frau 1785 heiratete er 1788 erneut. Der Sohn Emanuel Rudolf Biedermann wurde ebenfalls Landschaftsmaler.
Mit dem Einmarsch französischer Truppen 1798 in Bern brotlos geworden, wirkte er während der Helvetik zuerst als Sekretär der Regierung in Bern und verfasste anonym die gesellschaftskritische Schrift «Bern, was es werden könnte». Später hatte er in Zug bei der Verwaltungskammer des Kantons der vier Waldstätten ein Kommissariat für Heu- und Haferlieferungen inne. 1801 arbeitete er in Zürich für die Kunsthandlung Füssli und Co. Anschliessend malte er in Winterthur zwei militärische Szenen, die Schlacht am Walensee zwischen Österreichern und Franzosen und die Erstürmung der Teufelsbrücke (heute verschollen). Er reiste nach Paris in der Hoffnung, diese Historiengemälde dem Nationalmuseum zu verkaufen.
1802–07 in Konstanz, wo er zusammen mit Gabriel Lory père mit der Herausgabe topografischer Ansichten für die Walser’sche Kunsthandlung in Herisau betraut war. Allerdings scheint er am Werk über Russland, obgleich in der Literatur behauptet, nicht beteiligt gewesen zu sein. 1807–1814 in Basel, 1814–1824 wieder in Konstanz. 1807 und 1816 weitere Heiraten. 1827 übersiedelte er nach Zürich-Aussersihl. Auf vielen Reisen entstanden topografische Studien. So war er 1804 im sanktgallischen Rheintal und im Glarnerland, 1805 in der Innerschweiz, 1807 in Frankfurt am Main, wo er Bildnisse, Konversationsstücke sowie eine Ansicht der Stadt malte, 1808 im Berner Oberland und im Wallis, 1821 in Augsburg und München, 1823 in Freiburg im Breisgau und in Mainz.
Biedermanns Werk gliedert sich in Ölmalerei und Druckgrafik. Beide Arten von Arbeiten bereitete er in Zeichnungen und Aquarellen sorgfältig vor. Einige seiner ersten Schweizer Veduten wurden um 1790 von Samuel Johann Jakob Scheuermann und Lory père auf die Platten übertragen.
1790–91 entstanden vier kolorierte Umrissradierungen mit Motiven von Ausritten und Fahrten in der Umgebung Berns, in denen sich Landschaft, Genre und Tierbild zu Szenen der Begegnung, aber auch des Gegensatzes von Stadt und Land vereinen. Bekannt wurde Biedermann mit seinen 1796 in Bern erschienenen Ansichten der Hauptorte der Alten Eidgenossenschaft, die er mit finanzieller Unterstützung durch Albrecht Niklaus Effinger von Wildegg entwarf, radierte, teils eigenhändig kolorierte und edierte. In zwei sorgfältig komponierten, je 15 Blatt umfassenden Serien unterschiedlichen Formats, die immer wieder aufgelegt wurden, sind Mensch, Tier, Natur und Architektur harmonisch verbunden. Indem sich die Topografie der Städte dem Reiz der von zumeist ländlicher Staffage mit Bauern und Vieh bevölkerten Umgebung unterordnete, huldigte er mehr dem Ideal des Landlebens, als eine exakte Schilderung der Architektur zu leisten. Am gelobten Bild der kultivierten Landschaft als Schauplatz einfacher, bäuerlicher Sitten, wie es Biedermann aus dem Kreis von Mitgliedern der Helvetischen Gesellschaft vernommen hatte, hielt er auch in späteren Werken fest.
Diese pittoreske Auffassung findet in den vier 1800 erschienenen, Charakteristik der Schweiz genannten Blättern ihren Höhepunkt. Sie bieten einen Querschnitt durch die Topografie der Schweiz vom Mittelland bis zur hochalpinen Region. Spätestens ab etwa 1790 nimmt Biedermann die Ölmalerei auf Leinwand oder im kleinen Format auch auf Blech auf. Sein Werk zeigt kaum eine nennenswerte stilistische Entwicklung. Daher sind viele undatierte Gemälde, die oft nur J. J. B. monogrammiert sind, schwierig chronologisch einzuordnen. Nur bei gewichtigeren Kompositionen ist die Signatur ausgeschrieben oder eine Datierung hinzugesetzt. Anfänglich entstanden teils weite, gebirgige Landschaften, teils reine Genreszenen, die noch ganz der aristokratischen Welt des Ancien Régime als Spätphase des aufgeklärten Rokoko angehören, wie elegante Reiter vor ihren Landhäusern oder Die Verlobung bei Bern (Kunstmuseum Winterthur). Um 1800, unter dem Eindruck klassizistischer Strömungen, wechselte er von seinem malerisch lockeren Pinselduktus zu einer harten, präzisen Malweise.
Biedermann pflegte das perfekte Handwerk. Er war ein Meister des kleinen Formats. Ihm gelangen in Bildern von kristalliner Klarheit und von emailartigem Schmelz überzeugende Beschwörungen ländlicher Harmonie von fast magischer Wirkung, vergleichbar seinem bayerischen Zeitgenossen Wilhelm von Kobell (1766–1855). Seine technische Virtuosität verleitete ihn manchmal zu einer in schematischer Manier erstarrenden Malerei. Vor allem in grösseren Gemälden droht die handwerkliche Routine in reinen Selbstzweck aufzugehen, was sich im ornamentalen Baumschlag, in der steifen, additiven Aneinanderreihung von Bildelementen oder im formelhaft komponierten Bildaufbau äussert. Biedermann arbeitete mit Versatzstücken: In Aquarellen studierte Motive können noch Jahre später in unterschiedlichem Zusammenhang auftreten. Ähnliches gilt für die Bildnisse, die sich weniger durch psychologische Raffinesse als durch solide handwerkliche Ausführung auszeichnen.
Obwohl Biedermanns Landschaftsbild motivisch stets dem Geschmack des Ancien Régime verhaftet blieb und unter klassizistischem Ordnungswillen an Klarheit und Präzision gewann, gelten seine Werke als Inbegriff biedermeierlicher Landschaftsmalerei. Er malte keine romantischen Sehnsuchtsräume, in denen schweifende Träume ihre Erfüllung finden, sondern durchsonnte, mit Repoussoir-Motiven und Staffage bestückte Szenerien, in denen alles ordentlich und ausgewogen bleibt. In solchen Ölbildern passte sich der geschäftstüchtige und erfolgreiche Maler den Wünschen seiner Kundschaft an. Pragmatisch berechnend schrieb er 1820 der Stadtbibliothek Winterthur, die ihm eine Walliser Landschaft in Auftrag gegeben hatte, für den vereinbarten Preis könne er keine grossen Staffagefiguren malen, sondern nur kleine.
Biedermanns Palette ist geprägt von einer irritierenden Buntheit, die, obwohl subtil abgestuft, kaum atmosphärische Zwischentöne zulässt. Indem die Ölfarbe sparsam dünn und bis zu spiegelnder Glätte der Oberfläche verwendet wird, bleiben die lichten Landschaften klar und ausmessbar bis zu den fernsten Bergketten. Das Werk schwankt zwischen kleinmeisterlicher Vedute, die nach bewährten Kompositionsregeln die Sehenswürdigkeiten des frühen Tourismus feiert, und einer frischen, realistischen Auffassung der Natur, wie sie vorwiegend in den Zeichnungen und Aquarellen mit ihrem Reiz des Unvollendeten vorherrscht. Zuweilen glücken neben den beschaulichen Kompositionen, die den bekannten Ausspruch prägten, in den Gemälden sei immer Sonntag, auch Szenen einer unverklärten Natursicht, die, frei von dekorativer Staffage, durch zupackende Härte, abstrakte Bildgeometrie, ungewohnte Standpunkte oder Sinn für die erhabene Gebirgsnatur verblüffen.
SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz
Peter Wegmann, 1998, aktualisiert 2011 https://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4022863
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