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拍品 3222* - A156 19世纪的绘画作品 - Freitag, 01. April 2011, 05.00 PM

IVAN KONSTANTINOVICH AIVAZOVSKY

(1817 Feodosija 1900)
View over the Bosporus. 1878. Oil on canvas. Signed lower right and dated: Aivazovsky 1878. 68 x 88.5 cm. Provenance:–Carl F. Schlüter auction, Hamburg, 24.4.1980, Lot 2.–acquired directly from the above, private collection
Öl auf Leinwand.
Unten rechts signiert und datiert: Aivazovsky 1878.
68 x 88,5 cm.

Provenienz: - Auktion Carl F. Schlüter, Hamburg, 24.4.1980, Los 2. - Vom Eigentümer direkt dort erworben, Privatsammlung. Wasser, mächtige Segler und eine gehörige Prise Exotik: Der rund 31 km lange Bosporus, der Istanbul in einen europäischen und einen asiatischen Teil trennt, muss ein wahres Paradies an Motiven für Ivan Konstantinovich Aivazovsky gewesen sein. Achtmal reiste er zwischen 1845 und 1890 in das damals noch Konstantinopel genannte Herrschaftszentrum des Osmanischen Reiches. Noch heute sind dort einige Zeugnisse dieser teilweise längeren Aufenthalte ausgestellt, u.a.im Dolmabahçe Palace, dem einstigen Verwaltungszentrum des Reiches. Neue Wertschätzung also auch in der modernen Türkei für den im 19. Jahrhundert hoch verehrten Marinemaler. Was aber brachte den Maler, der in St. Petersburg mit der Goldenen Medaille der Russischen Kunstakademie reüssiert hatte und von Zar Nicholas I zum offiziellen Künstler der russischen Admiralität ernannt worden war, dazu, in Konstantinopel zu malen - oder jedenfalls ein Motiv dieser Stadt? Zumal im Jahr 1878, also mitten im Russisch-Türkischen Krieg, den die beiden Mächte um die Kontrolle über den strategisch wichtigen Bosporus fochten, der einzigen Passage vom Schwarzen Meer in die Ägäis? Neben dem Zugang zum Mittelmeer wollte das Russische Reich, in dem der Panslawismus damals eine wichtige politische Rolle spielte, mit diesem Krieg auch die orthodoxen slawischen Völker von der osmanischen Vorherrschaft befreien. Bulgarien, Rumänien, Serbien und Montenegro betrachten diesen Krieg heute als Unabhängigkeitskrieg und als Beginn ihrer nationalen Selbständigkeit. In Bulgarien setzte ein gewaltiger Exodus von Muslimen ein: Bis 1882 flohen mehr als eine halbe Million aus dem Land in das Osmanische Reich. Warum also gerade der Bosporus als Motiv? Aivazovskys Abstammung und Lebenslauf ist auf das engste mit den ethnischen und politischen Bruchstellen im Osteuropa des 19. Jahrhunderts verknüpft. Oder plakativ ausgedrückt: er sass zwischen allen Stühlen. Geboren wurde er in Feodosija (auch Theodosija), einer Hafenstadt auf der Krim in der heutigen Ukraine. Von 1475 bis 1783 gehörte sie zum Osmanischen Reich, bis Russland die Krim annektierte. Die über das Schwarze Meer nur wenige Hundert Kilometer von Istanbul entfernte Stadt war von den drei Jahrhunderten Osmanischer Herrschaft und engen kulturellen wie wirtschaftlichen Beziehungen so geprägt, dass die Ottomanen sie "Küçük Stambul", "Kleines Istanbul" nannten. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Städte waren die grossen armenischen Bevölkerungsgruppen, die beidseits des Schwarzen Meeres lebten. Auch Aivazovsky war armenischer Abstammung (manche seiner Werke signierte er in Armenisch "Hovhannes Aivazian"). Die wechselvolle und sehr komplexe Geschichte Armeniens lässt sich für das 19. Jahrhundert grob vereinfachend so zusammenfassen: Westarmenien gehörte zum Osmanischen Reich, Ostarmenien zum Russischen. Die leidgeprüften Armenier entwickelten damals ein neues kulturelles Selbstbewusstsein, und insbesondere in Konstantinopel hatte sich eine beachtliche Schicht reicher und gebildeter Armenier niedergelassen. Aivazovsky dürfte sich dort also fast wie zu Hause gefühlt haben. Konkreter Anlass für seine erste Reise an den Bosporus war eine Kleinasienreise und die Einladung Sultan Abdülmecids I (1823 - 1861), von 1839-1861 der 31. Sultan des Ottomanischen Reiches. Westlich erzogen, fliessend französisch sprechend und an Literatur und klassischer Musik interessiert, widmete sich dieser heute vielleicht als vergleichsweise "liberal" zu bezeichnende Sultan ganz den von seinem Vater Mahmud II. initiierten Reformen. So führte er beispielsweise Zivil- und Strafgesetzbücher ein, die sich am damals sehr fortschrittlichen französischen Modell orientierten, setzte sich für die Abschaffung der höheren Besteuerung von Nicht-Muslimen ein und gründete neue Universitäten und Akademien. Auf den Thron folgte nach dem Tod Abdülmecids I dessen Bruder Abdülaziz I (1830 - 1876) und sein Sohn Abdülhamid II (1842 - 1918), dem letzten mit absolutistischer Macht herrschenden ottomanischen Sultan. Dieser entstammte übrigens einer Verbindung Abdülmecids I mit einer Frau armenischer Abstammung. Alle drei Sultane beauftragten Aivazovsky mit Werken. Die Erzfeinde Russland und Türkei, die sich immer wieder kriegerisch auseinandersetzten, waren sich also für einmal auf höchster Ebene von Zar und Sultan völlig einig, was nämlich die Qualität der Kunst dieses Malers betrifft. Aivazovsky verrät uns in seinem Blick auf den Bosporus zunächst nichts über diese Konflikte, wie sich auch in seinem übrigen Oeuvre keine Schlachtenbilder im eigentlichen Sinn finden, dagegen durchaus Darstellungen leidender Soldaten. Anlässe dafür hatte es ja genug gegeben, musste er doch aus nächster Nähe auch den Krimkrieg (1853 bis 1856) miterleben. Aivazovsky malt in seinem Blick auf den Bosporus aber auch nicht die prunkvollen Paläste des Goldenen Horns. Vielmehr hat er sich für eine ruhige, fast intime Szene entschieden und schildert uns eine gelassene Stimmung an den dunstigen Ufern des Bosporus. In Istanbul ist es an durchschnittlich 228 Tagen im Jahr jedenfalls teilweise neblig, und Aivazovsky konnte diese Atmosphäre sicher häufig beobachten. Mit subtilsten Farbabstufungen und transparenten Lasuren lässt der Künstler die matte Abendsonne durch den feinen Dunst scheinen, aus dem mächtige Segler treten. Sie verlieren sich am linken Bildrand, an dem sich die Wasserfläche in den Horizont auflöst. Gebäude und Stoffe schimmern verhalten im warmen Glanz der untergehenden Sonne. Eine Interaktion zwischen Land und Wasser und damit verhaltene Bewegungsmomente gestaltet Aivazovsky durch die kleineren Fischerboote, aber auch durch die beiden Männer am rechten Bildrand, von denen einer auf einem Mauerausschnitt kauernd Wasser schöpft. Die Cafés an den Ufern des Bosporus sind voll, die Gäste geniessen die laue Luft und sind ruhig ins Gespräch vertieft. Interessant ist ein winziges Detail dieser Besucher. Einige tragen nämlich einen Turban. Nichts Aussergewöhnliches in der Türkei, sollte man meinen - und doch sehr aufschlussreich. Sultan Mahmud II. hatte nämlich bereits 1826 bei der Reform der Bekleidung seiner Bediensteten Pluderhosen und Turban verboten und den Fez verordnet, jene wie ein abgeschnittener Kegel geformte Kopfbekleidung aus rotem Filz mit Quaste, die nach einer Stadt in Marokko benannt ist. Später war der Fez für sämtliche (auch nichtmuslimische) Bürger verpflichtend, und selbst Frauen trugen eine kleinere Version ohne Quaste. Wenn Aivazovsky also mehr als 50 Jahre nach der Neuordnung der Bekleidungsvorschriften Turbane malt, so ist dies wohl als Hinweis auf die Internationalität Konstantinopels zu deuten, jener Stadt, der damals wie heute Wirtschaftsbeziehungen und internationale Verwerfungen Einwohner ferner Länder an das Ufer des Bosporus spülen. Vielleicht hat man damals in den Vierteln der Regierungsstadt nicht viel vom Krieg gespürt und ist dem Alltag nachgegangen, hat Geschäfte gemacht, Kaffee getrunken. Vielleicht aber malte Aivazovsky, jener Künstler, der in zwei verfeindeten Welten zuhause war, auch sein Wunschbild der von ihm geliebten Weltstadt.

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